Schwestern des Mondes 02 - Die Katze-09.06.13
spielte. Oder doch?
Camille dachte offenbar genau dasselbe, denn sie drehte sich mit einem verblüfften Gesichtsausdruck zu mir um und zuckte dann mit den Schultern. Als sie und Morio gerade die Treppe hinaufschlichen, wurde krachend die Haustür aufgestoßen, und ein seltsam aussehender Mann erschien, bekleidet mit einer Art Mittelalter-Leggings und einem langen Kittel. Seine Augen leuchteten auf, als er uns sah, und er breitete die Arme aus.
»Die D’Artigo-Schwestern sind gekommen, Georgio zu besuchen! Aber wo ist eure dritte Schwester? Ach, ja richtig, sie ist krank, sie kann nicht herauskommen, wenn es hell ist«, sagte er und eilte über die Veranda, um uns willkommen zu heißen.
»Na so was, wenn das nicht Georgio Profeta ist!« Ich lächelte ihn strahlend an. »Wie geht es Ihnen heute, Sankt Georg?«
Sankt Georg – für den hielt er sich nämlich – warf uns einen wissenden Blick zu. »Nun, ich halte natürlich Wacht über den Drachen. Er ist ein verschlagenes Exemplar, listig und trickreich. Ich weiß, dass er hier herumgeschlichen ist, und eines Tages, wenn er es am wenigsten erwartet, schlage ich zu. Bis dahin spiele ich ihm etwas vor und lasse ihn in dem Glauben, ich wüsste nicht, was er eigentlich damit bezweckt, mich hier draußen anzusiedeln.«
Mich hier draußen... Ihr guten Götter, was hatte Smoky getan? Georgio Profeta, der selbsternannte Drachentöter, war schon seit mehreren Jahren hinter Smoky her, wenn wir die Geschichte recht verstanden hatten. Natürlich hatte er nicht den Hauch einer Chance, Smoky auch nur den kleinen Finger zu brechen, ganz zu schweigen davon, »die Bestie zu töten«. Aber Smoky schien ein weiches Herz für den verwirrten Mann zu haben, der den Kontakt zur Realität längst verloren hatte.
Camille und ich wechselten einen kurzen Blick, und sie eilte auf ihn zu. »Sankt Georg, das ist brillant! Ich bin sicher, er schöpft nicht den geringsten Verdacht. Haben Sie das Haus ganz allein so schön hergerichtet?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Als meine Großmutter letzten Monat gestorben ist, wollte der Drache mich hier herauslocken; hinter geheuchelter Freundschaft wollte er seine Absicht verbergen, mich stets im Auge behalten zu können. Also wandte ich seine eigene List gegen ihn. Er hat mir geholfen, das Haus in Ordnung zu bringen, und mir gesagt, ich dürfte hier wohnen, solange ich will. Natürlich will er dafür sorgen, dass er stets weiß, wo ich bin. Ich habe Drachen erschlagen, ich habe Prinzessinnen verführt. Ich habe... « Plötzlich verlor er den Faden und verschwand hinter einem stummen Schleier verwirrter Gedanken. Es war, als hätte jemand das Licht ausgeschaltet.
In diesem Moment erschien Smoky am Rand der Lichtung. Er war in seiner menschlichen Gestalt, und das war auch gut so, denn im Vorgarten war nicht allzu viel Platz für einen Drachen. Rasch kam er auf uns zu. Er war groß, mit langem, silbernem Haar und frostfarbenen Augen, passend zu seiner milchweißen Haut; er sah umwerfend aus, zeitlos in einem Zeitalter, das viel zu schnell dahineilte. Seine Bewegungen waren elegant und arrogant. Er bedachte uns mit einem warnenden Blick, dessen Bedeutung leicht zu erraten war – Haltet die Klappe, sonst... –, bevor er nach Georgios Hand griff.
»Wie ich sehe, ist Sankt Georg wieder einmal geistig abwesend«, sagte er und führte den Mann ins Haus. Camille und ich wechselten einen Blick, zuckten mit den Schultern und gingen ihm nach. Zachary und Morio folgten uns.
Als wir das Haus betraten, erinnerten Möbel und Einrichtung noch an Tom, doch Georgio hatte definitiv die Herrschaft übernommen. Drucke und Poster des heiligen Georg im Kampf gegen den Drachen schmückten die Wände, und an einer Schneiderpuppe in der Ecke des Wohnzimmers hing seine Kettenrüstung aus Plastikringen.
Smoky führte Georgio zu einem Sessel und half ihm, sich zu setzen. Dann pfiff er eine seltsame Melodie, und gleich darauf erschien eine ältere Dame aus der Küche. Sie trug eine Schürze über einem Hauskleid mit Blumenmuster, und ihr langes, graues Haar war zu einem ordentlichen Zopf geflochten und hochgesteckt.
»Ich möchte Ihnen ein paar Freunde von mir vorstellen«, sagte Smoky. »Estelle, das sind Camille, ihre Schwester Delilah, dies ist Morio, und... du musst Zachary sein?« Er verneigte sich knapp vor Zach, der ihn völlig perplex anstarrte.
»Sind die auch Drachen?«, fragte Estelle und musterte uns prüfend.
»Nein«, antwortete Smoky. »Sie sind
Weitere Kostenlose Bücher