Schwestern Des Mondes 03 - Die Vampirin-09.06.13
meine.
Ja, wollte ich ihr sagen. Wir träumten von Blut und Sex und Leidenschaft. Aber das entsprach nicht ganz der Wahrheit, obwohl meine dahintreibenden Gedanken oft von beängstigenden Bildern erfüllt wurden, die mich warnten, wenn ich ein bisschen zu weit auf das Raubtier in mir zudriftete, weg von meinem wahren Selbst.
Vielleicht hätte ich ihr auch sagen sollen, dass Vampire im Schlaf durch die Hallen der Toten wandelten. Wir spazierten durch Wiesen und Wälder, streiften durch die Straßen von Städten und glitten übers Meer dahin. Wir wandelten mit dem Wind, wir wandelten auf dem Wasser. Wir waren die eigentlichen Windwandler. Aber auch das wäre nur ein Teil der Antwort gewesen.
Tatsache war: Wenn die Macht der Sonne mich in den finsteren Schlummer der Untoten hinabzwang, träumte ich von zu Hause – von der Anderwelt und meiner Kindheit. Ich träumte davon, wie ich zum ersten Mal einen Mann geküsst hatte – Keris, den Nachbarsjungen. Ich träumte davon, wie ich zum ersten Mal eine Frau geküsst hatte – Elyas, ebenfalls Agentin beim AND. Ich träumte davon, Priesterin in der Schwesternschaft der Alten zu werden, eine Hoffnung, die ich begraben hatte, als ich meine erste Blutung bekam und zur Frau wurde. Ich träumte von Bewegung und Mustern und Fraktalen, von Tanz, Musik und Poesie.
Und nach besonders stressigen Nächten träumte ich von Dredge. Leider genoss ich nicht mehr den Luxus anderer Leute, die aus ihren Alpträumen aufwachen konnten. Wenn ich erst schlief und die Erinnerungen mir einen unwillkommenen Besuch abstatteten, konnte ich nichts tun, als sie auszuhalten, die Folter, die Vergewaltigung und – schließlich – meinen ersehnten Tod noch einmal zu durchleben. Wieder und wieder träumte ich von meiner Verwandlung. Wie Sisyphos wurde ich immer wiedergeboren, nur dass ich mich nicht des Verrats an den Göttern schuldig gemacht, sondern die Geheimnisse eines sehr übellaunigen Vampirs und seiner Mannschaft ausspioniert hatte. Damit hatte ich mir meine ewige Strafe verdient – dazu verflucht, unter den Untoten zu wandeln bis zu jenem Tag, da ich bereit sein würde, loszulassen und den endgültigen Tod zu sterben.
Camille und Delilah erzählte ich nie von diesen Alpträumen. Das war nicht nötig. Warum sollten wir alle solch finstere Erinnerungen mit uns herumtragen müssen? Sie konnten nichts tun, nichts an meinem Schicksal ändern, und ich wollte sie nicht mit dem Wissen belasten, wie bösartig Leute, lebendig oder untot, wirklich sein konnten. Allerdings hatten sie diese hässliche Wahrheit selbst erkennen müssen, bei unserem Kampf gegen die Dämonen.
Ich legte mein Buch weg und schlüpfte langsam aus Jeans und Rollkragenpulli. Der Gedanke an Dredge hatte zu viele Erinnerungen geweckt. Ich blickte an meinem Körper hinab. Es hatte keinen Sinn mehr, in einen Spiegel zu schauen. Mein Spiegelbild schaute mir nicht mehr entgegen, nie mehr. Und doch – jedes Mal, wenn ich mich auszog und die Narben sah, wie konnte ich den Erinnerungen entkommen?
Das Treffen war fast vorbei...
Noch ein paar Minuten, und ich konnte mich rausschleichen, frei und sicher und mit den Informationen, die wir brauchten. Ich atmete langsam und tief durch und hielt mich gut fest; ich hatte nur gefährlichen Halt gefunden, weit oben in der Höhle. Aus dieser Entfernung konnte der Elwing-Blutclan die Hitze, die mein Körper abgab, nicht spüren, aber mein hochempfindliches Gehör schnappte alles auf, was gesagt wurde. Ein weiterer Vorteil meines gemischten Blutes. Ich konnte leise Schritte in der benachbarten Kammer hören.
Zufrieden sagte ich mir, dass ich nur noch ein bisschen länger warten musste. Vor fünf Minuten hatte ich die entscheidenden Informationen erhalten, die sie zu Fall bringen würden. Dredge war brillant, konnte sich aber offenbar nicht einmal vorstellen, dass irgendjemand, irgendwo, Pläne gegen ihn schmieden könnte. Niemand außer dem AND wäre mutig – oder waghalsig – genug, den Elwing-Blutclan auszuspionieren. Da kam ich ins Spiel.
Jetzt brauchte ich nur noch zu warten, bis sie die Höhle verließen. Nach diesen Treffen zerstreuten sie sich immer, um zu trinken. Ich war schon dreimal hier gewesen und jedes Mal mit Leichtigkeit unbemerkt davongekommen. Dies war mein letzter Auftrag für diese Mission. Ich hatte, was wir brauchten. Ich konnte bestätigen, was der AND vermutet hatte: Dredge und seine Kumpane hatten sich verschworen und wollten einen eigenen Hof gründen, mit Dredge
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