Schwestern des Mondes 04 - Hexenküsse-09.06.13
und heulend durch die samtene Nacht hetzte.
»Komm, spiel mit uns ... komm, lauf mit uns ...«, lockten die Stimmen.
Mit einem Aufschrei sah ich Derisa an und erkannte, dass auch sie dem Ruf folgen würde. Sie griff nach meiner Hand, und ich überließ sie ihr voller Vertrauen, Vertrauen in die Mondmutter. Als Derisas Finger sich um meine Handfläche schlossen, wurden wir plötzlich in die Luft erhoben, angezogen von der Wilden Jagd.
Im Strudel der Jagdgesellschaft, die jeden Monat bei Vollmond über den Himmel zog, sprangen wir in den Astralraum - mit Leib und Seele - und flogen in den Himmel hinauf, behütet von unserer riesigen, leuchtenden Göttin, die auf uns herabblickte.
Alles verschwamm außer der Leidenschaft für die Jagd, dem Trieb, jene zu suchen und zu fangen, die der Nacht gehörten. Die Vernunft sickerte aus meiner Seele, silbrig schimmernd schwoll die Mondmagie in meinem Herzen an, und ich ließ meinen letzten besorgten Gedanken los, meine allerletzte Angst, und überließ mich auf immer und ewig der Mutter Mond.
Kapitel 12
Camille? Camille?« Delilahs Stimme zuckte durch meine Gedanken. Wirr schüttelte ich den Kopf. Das Einhorn-Horn lag wieder in seinem Kästchen, das ich noch auf dem Schoß hatte, und Kätzchen rüttelte an meinen Schultern. »Alles in Ordnung?«
Ich blinzelte und versuchte, meine Gedanken zu sortieren. »Ich glaube schon.
Anscheinend habe ich ganz spontan einen kleinen Ausflug in meine eigene Erinnerung unternommen. Wie lange war ich denn weg?«
Morio schaute auf seine Armbanduhr. »Sechs Minuten. Erst dachten wir, du kommunizierst mit der Energie des Horns, aber dann hast du einen spitzen Schrei ausgestoßen und das Horn wieder in das Kästchen gelegt, und da dachte ich mir, dass du ganz woanders warst.«
Einen spitzen Schrei, so? Entzückend. Wenn ich mystisch besonders in Fahrt war, bot ich einen ehrfurchtgebietenden, wunderschönen Anblick. Das war kein Eigenlob, sondern die Wahrheit, weshalb sollte ich es also leugnen? Es sah jedoch ganz so aus, als sei das gerade eben nicht der Fall gewesen.
»Mein Verstand war wohl der Meinung, er brauchte mal Urlaub.« Ich holte tief Luft und genoss die Wachheit, die eine gute Lunge voll Sauerstoff meinen Gedanken brachte. Atmen wirkte doch Wunder fürs Gehirn. »Ich glaube, ich bin in etwas Tieferes gefallen als eine Trance. Wenn mich nicht alles täuscht, bin ich aus der Zeit herausgetreten, habe mich bilokalisiert und in die Nacht meiner Initiation zurückversetzt«, sagte ich und hüstelte. »Ich könnte schwören, dass ich gerade die ganze Nacht noch einmal durchlebt habe - aber sechs Minuten? Das reicht wirklich nicht ganz.«
»Das Horn hat Euch aber doch kein Leid getan?« Feddrah-Dahns' Augen blitzten.
»Leid? Nein, ganz und gar nicht.« Vorsichtig griff ich wieder nach dem Kristall. »Ich war nur nicht auf die Macht seiner Energie vorbereitet. Dieser Kristallstab hat es ganz schön in sich. Der Schock hat mich zu ... zu einem anderen Moment in meinem Leben versetzt, als eine große Macht mich ergriffen hatte.«
Mich ergriffen, Zähne und Klauen in mich geschlagen und nie wieder losgelassen hatte.
Als ich nach dem Horn griff, kam mir der Gedanke, dass es ein eigenes Bewusstsein haben könnte. Ich spürte einzelne Gedanken und Emotionen, die von ihm ausgingen, und sie waren bei niemand anderem im Raum geerdet.
Ich legte den Zeigefinger an die Lippen und bedeutete allen, still zu sein.
Dann drang ich tief in meine Aura hinab und verwurzelte meine Energie mit der Erde, den Ästen und Wurzeln und Zweigen vor unserer Tür. Obwohl ich keine Erdhexe war, konnte ich mich sehr gut mit Wäldern und Pflanzen verbinden. Ihr Mana würde mich in meinem Mittelpunkt halten.
Solcherart vorbereitet, legte ich sacht die Finger um das Horn und holte es erneut aus dem Kästchen.
Als die tosende Macht diesmal über mich hereinbrach, konnte ich mich auf ihrer Oberfläche halten. Mühsam zappelte ich in einem Meer aus Energie und zwang mich zur Konzentration, auf das Horn in meiner Hand, auf den Stuhl unter meinem Hintern, auf Feddrah-Dahns und Mistelzweig und Delilah und Morio, die mich allesamt ängstlich beobachteten.
Und dann hörte ich einen fernen Ruf, von so weit weg, dass ich nicht einmal erraten konnte, woher er kam. Ich schloss die Augen, ließ los und folgte seiner Aufforderung.
Ich blinzelte. Ich saß in einer Wiese voller Apfelbäume und Geißblatt und so hohem Gras, dass es meine Knie kitzelte. Als ich tief Luft
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