Schwestern des Mondes 04 - Hexenküsse-09.06.13
Spalten die Leichen von Priesterinnen aus vergangenen Zeitaltern steckten; in der traditionellen Bestattungshaltung zusammengekauert, wurden sie hier beigesetzt. Elfenbeinweiße Knochen schimmerten in den Höhlungen der Stämme. Der Instinkt trieb mich voran, und ich knickste vor jedem Grab und ehrte damit die Reihe der Ahnfrauen, aus denen der Orden der Mondmutter hervorgegangen war.
Jenseits der Baumwächter befand sich ein Torbogen, dicht von wilden Rosen umschlungen, die an dem steinernen Durchgang emporkletterten. Glyzinienranken hingen schwer und üppig von dem Bogen herab. Ihr Duft war berauschend, köstlich mit einem Hauch von Verwesung an den Rändern.
Die Last meiner Ketten wurde mit jedem Schritt schwerer. Würde ich bald dauerhaft von Narben gezeichnet sein? Verbrannt vom kalten Feuer des Silbers? Oder war dies nur eine Mahnung, dass ich mich dem Hain näherte?
Der Wind sank zu einem Flüstern herab, als ich das Reich der Mondmutter betrat.
Der Thron der Hohepriesterin, von den Händen lange Verstorbener aus einem uralten Eichenstamm gehauen, war mit eingelegten Smaragden und Peridot, Granaten und Mondstein geschmückt. Polierte Armlehnen umschlossen Derisa wie in einer Umarmung und krümmten sich wie die Füße eines gewaltigen Drachen. Schillernde Metallschuppen bedeckten die Rückenlehne, an der ihr Kopf ruhte. Halb liegend, ein gestiefeltes Bein über die Armlehne gehängt, ruhte die Hohepriesterin der Mondgöttin schweigend auf ihrem Thron, bis ich vor ihr stehen blieb.
Dann stand sie auf. Ihre Silhouette hob sich als hoher Schatten vor dem Mondlicht ab.
Sie war für die Jagd gekleidet, in Pflaumenblau und Schwarz - Kittel, enganliegende Hose, Stiefel. Ein Nimbus aus lavendelfarbenem Feuer umgab sie, und ihre Aura knisterte vor Magie. Dunkel war sie und schön, mit schwarzen Locken, die ihr bis zu den Knien reichten, und feiner Haut, so unglaublich hell, dass sie dem Mondschein glich. In ihren Augen funkelte kaltes Feuer, während sie mich begutachtete; ihr Blick drang mir bis auf die Knochen.
Meine Beine gaben nach, und plötzlich kniete ich auf dem Boden und berührte mit der Stirn die Erde am Fuß des Throns.
Derisa stieg herab und stupste mir sacht mit einer Stiefelspitze in die Rippen. »Lyra rät dazu, dich hinauszuwerfen, Nigel empfiehlt, dir den Eid abzunehmen. Was sagst du? Falls es notwendig sein sollte, bist du wirklich bereit, deine Familie im Stich zu lassen, dein Leben aufzugeben, ja selbst deine Seele?«
Ihre Stimme fegte in einem zornigen Windstoß an mir vorbei, und ihre melodisch gesprochenen Worte wanden sich in mein Herz, schlugen dort Wurzeln und zogen mich in ihren Bann.
In entsetzlicher Angst sah ich zu ihr auf, schaffte es aber dennoch, ihrem Blick zu begegnen.
»Die Mondmutter hat mich gerufen, als ich noch ein kleines Kind war«, flüsterte ich.
»Dies ist der einzige Weg, den ich je im Leben gehen wollte. Ich brauche sie - ich kann ihren Ruf nicht ignorieren.«
Derisa zögerte und kniete sich dann neben mich. Sie streckte die Hand aus, legte die Finger unter mein Kinn und hob meinen Kopf an, um mir direkt in die Augen zu sehen. Mein Zittern hörte abrupt auf. Sie allein würde über mein Schicksal entscheiden, sie und Mutter Mond. Die Angst stahl sich davon wie eine Schlange, die ihre Haut abwarf, und ich holte tief Luft und blickte in ihr wunderschönes Gesicht.
Nach einer langen Weile sprach sie, und diesmal war ihre Stimme leise. »Lyra sagt, es könnte dir an Begabung mangeln. Das ist wahr, aber es sieht womöglich nur so aus, weil deine Gabe gelegentlich den falschen Weg einschlägt. Auch Nigel spricht Wahres. Camille Sepharial te Maria, die Mondmutter blickt in dein Herz und deine Seele und findet beides rein und klar. Du bist sowohl aufrichtig als auch mutig, Halbblut oder nicht. Komm, Kind, steh auf.«
Ich stand auf.
Derisa beugte sich vor. »Mutter Mond hat Antwort gegeben. Sie wird dich als ihre Dienerin annehmen. Ich frage dich noch einmal, ehe du den Eid ablegst, denn dann wird es kein Zurück mehr geben: Wirst du dich ihr überlassen, damit sie mit dir tun kann, was ihr beliebt?«
Ich nickte und erhaschte einen Hauch ihres Parfüms - Flieder und Zitrone.
»O ja«, antwortete ich atemlos. »Ich widme ihr mein Leben. Und meinen Tod.«
»Dann werde ich dir den Eid abnehmen. Hör gut zu, Mädchen, und dann antworte mir.« Wind erhob sich, peitschte wild um uns her und ließ die Silberketten zart klimpern.
»Camille Sepharial te Maria, trittst du
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