Schwestern des Mondes 07 - Hexenzorn-09.06.13
kann ich seinen Antrag nicht guten Gewissens annehmen. Ich will nach Dahnsburg, um den Großen Geist des Winterwolfs aufzusuchen, der den Sommer in der Stadt verbringt. Er überwintert in den oberen Nordlanden, hoch droben in den Bergen in der Nähe des Ortes, an den Vikkommins Schatten sich zurückgezogen hat. Vielleicht kann er mir helfen, Vikkommin aufzuspüren und irgendwie die Wahrheit herauszufinden. Ich habe schon alles versucht, und dies ist das Einzige, was mir noch einfällt.«
Schweigend nahm ich ihre Hand und drückte sie. Dann fragte ich: »Weiß Bruce etwas davon?«
Sie sah mich an, als sei ich eine interessante Kandidatin für eine peinliche Talkshow, und schüttelte den Kopf. »Wie könnte ich ihm erzählen, was passiert ist, wenn ich es doch selbst nicht weiß? Ich habe keinen Beweis für meine Unschuld. Mein Gedächtnis scheint wie zugemauert, von dem Moment an, als ich Vikkommins Zimmer betrat, bis zu dem Augenblick, als ich in der Zelle aufgewacht bin. Ich habe alles versucht, diese Wand zu durchbrechen, aber nichts funktioniert. Dass sie mir meinen Titel und meine stärksten Kräfte weggenommen und mich verflucht haben, brandmarkt mich praktisch als Unberührbare. Und ...« Sie zögerte, und ihre Unterlippe zitterte.
»Und was?«
»Was, wenn ich es doch getan habe?«, flüsterte sie. »Was, wenn irgendein schrecklicher Teil von mir - tief in mir verborgen - die Kontrolle übernommen und ihn zerrissen hat? Was, wenn ich ihn wirklich in einen Schatten verwandelt habe? Wenn ich tatsächlich diejenige war, die unser beider Leben zerstört hat? Falls ich herausfinden sollte, dass ich wahrhaftig ein Ungeheuer bin, könnte ich mit diesem Wissen nicht leben. Nein, ich versuche lieber, die Wahrheit zu erfahren, ehe ich Bruce irgendetwas wissen lasse. Wenn ich es nicht getan habe, bin ich frei von Schuld und kann ihm alles sagen. Und wenn doch ...«
Ich sah sie an, wie sie da vor mir stand und die Wand anstarrte. »Dann - was? Was würdest du tun?«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie mit erstickter Stimme. »So weit voraus kann ich nicht denken. Das ist zu beängstigend.«
In diesem Moment rief mein Vater nach uns, und Iris wischte sich hastig die Tränenspuren vom Gesicht. Ich setzte ein gezwungenes Lächeln auf, als wir zu den Männern hinübergingen, aber meine Gedanken drehten sich nur darum, was Iris womöglich tun würde, wenn sie herausfand, dass sie den Mann, den sie geliebt hatte, ins Verderben gestürzt hatte.
Die Portalreise nach Dahnsburg verlief wie immer, doch die Stadt, in deren Nähe wir aus dem Portal hervortraten, war eine ganz andere Welt als Y'Elestrial. Vor allem war Dahnsburg eine Hafenstadt - der westlichste Hafen, um genau zu sein. Der Geruch von Salzwasser und Seetang hing schwer in der Luft.
Ich sog tief den Atem ein und schloss die Augen, als eine frische Brise vorüberstrich. Das war eines der Dinge, die mir an unserem Umzug nach erdseits, nach Seattle, am besten gefiel. Wir waren dicht am Meer. Es gab kaum etwas Hypnotischeres, als am Pier zu stehen, zuzuschauen, wie die Wellen in der Bucht auf und ab wogten, und den Ruf der Meeresmutter zu hören, die in den Kanälen und Meeresarmen des Puget Sound sang.
Hier standen wir nun nicht am Pazifik, sondern an der Küste des Wyvernmeers, einem riesigen Ozean. Er reichte bis zu den mythischen Ländern, die man nordisch nennen könnte - den großen Wäldern von Tapiola, und jenseits davon zu den Fjorden von Walhall und Asgard. Und noch weiter nördlich lag Pohjola, wo es angeblich natürliche Portale ins Reich der Nordlande geben sollte.
Als wir aus dem Portal traten, fanden wir uns auf einer Klippe über dem Wasser wieder. Das Portal befand sich zwischen zwei Menhiren und wurde von drei Dahns-Einhörnern bewacht. Zumindest nahm ich an, dass sie zur Dahns-Linie gehörten. Die langen Mähnen flatterten über ihren Rücken, und zu meiner Überraschung war eines von ihnen nicht schneeweiß, sondern grau gesprenkelt. Alle drei hatten silberne Hörner, was bedeutete, dass sie weiblich waren. Männliche Einhörner trugen goldene Hörner.
Eines der Einhörner trat vor und warf schnaubend den Kopf in die Höhe.
»Mein Name ist Sheran-Dahns. Ihr seid die Mondhexe Camille, richtig?« Sie sprach Melosealfôr, eine wunderschöne, seltene Kryptiden-Sprache, die alle Mondhexen lernen mussten. Die Dahns-Einhörner hatten sie über Jahrhunderte hinweg kultiviert.
Ich neigte den Kopf und deutete einen Knicks an. »Das bin ich. Dies ist
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