Schwestern schenkt der liebe Gott
schnallt den Säbel ab und trägt die Waffen in das Zimmer.
Karolin’ reißt an der Fußkette,
schlägt die Flügel zusammen und ruft: „Krischon Krischon Piiiiependeckel!“
„Nun hab dich nicht so!“ brummt
Brüder verächtlich. „Was ist denn schon ‘n Käptn? Ein Jäger ist viel mehr!“
Voll Wohlgefallen mustert er seine Waffen an der Wand. Sie blinken und blitzen,
als freuten sie sich auch, daß Käptn Kraff nach Hause kommt. Plötzlich
durchzuckt Brüder ein Eisesschreck. Die Waffen, die Vögel, Brigga, der
Elefantenfuß, auf dem er immer reitet, Kroko, das Krokodil — all das gehört ja
dem Käptn! Was will der Käptn hier?
Brüder rennt aus dem Zimmer. „Tante Käthe! Warum kommt Käptn Kraff?“
Tante Käthe setzt vor dem
Flurspiegel den Hut auf und betrachtet sich sehr eingehend dabei. „Na hör mal“,
entgegnet sie, „es wird doch höchste Zeit, daß er sich um seine Sachen
kümmert!“
„Warum?“
„Frag nicht so dumm! Er kann
sie doch nicht ewig bei mir stehenlassen!“
Atemlos wartet Brüder, daß sie weiterredet. Aber Tante Käthe ist offensichtlich mit anderen
Dingen beschäftigt. Brüder möchte noch soviel wissen. Er spürt, daß eine
ungeheure Gefahr näherrückt. Niemals hat er darüber nachgedacht, was geschehen
wird, wenn der Käptn eines Tages zur Tür hereinkommt. Es war ihm
selbstverständlich, daß alles in Käptn Kraffs Zimmer sein eigen war. Hier war
sein Reich, in dem er unumschränkt herrschte, sein Urwald, seine Berge, sein
weites Meer. Hier war er so glücklich wie damals, als er noch allein bei
Günthers war. Soll dieses Glück etwa zu Ende sein?
„Brüder, was guckst du denn?“
sagt Tante Käthe. „Du machst mich ganz nervös!“
Mit ihr ist heute nicht zu
reden. Er wird seinen Vater fragen.
Günthers sitzen schon bei
Tisch. Es gibt Krautwickel. Das sind Weißkohlblätter, die mit gehacktem Fleisch
gefüllt sind. Kohl ist etwas, wozu man Brüder an anderen Tagen erst dreimal
bitten muß. Heute setzt er sich ohne Umschweife auf seinen Stuhl. Guggi hat
bereits von dem Telegramm erzählt. „Warum...“ beginnt Brüder.
Die Mutter unterbricht ihn:
„Hast du dir die Hände gewaschen?“
Nein, das hat er vergessen. Er
hat Wichtigeres im Kopf. Das Waschen geht einszweidrei. Puck fährt mit seinem
Freßnapf auf dem Linoleum in der Küche spazieren. Heute spritzt ihn Brüder nicht naß. Er hat es eilig.
„Warum kommt der Kapitän her?“
fragt er den Vater und klettert wieder auf seinen Stuhl.
„Weil er seine Sachen holen
will“, erwidert Guggi. „Er hat sich in Hamburg eine Wohnung genommen und will
sie einrichten. Was sonst?“ Sie sieht die Ereignisse vom nüchternen
Allerweltsstandpunkt aus an.
Brüder wendet sich mit einem flehenden Blick an seinen Vater. Stimmt das, was Guggi sagt? Das
wäre ja furchtbar. Dann zerstört Käptn Kraff seinen Urwald! Dann gibt es keine
Tiere mehr, mit denen man sprechen kann und die einen verstehen. Keine Brigga!
Keinen Kroko! Darf denn jemand einfach daherkommen und einem alles wegnehmen,
woran man hängt?
Der Vater zieht die Stirn in
steile Falten. Er könnte Brüder eine Menge von Urwäldern erzählen, die man
Menschen weggenommen hat, die sich darin glücklich gefühlt haben. Er weiß, daß
es auf dasselbe herauskommt, ob diese Menschen Erwachsene waren oder ob es
Kinder sind, die aus einem Paradies vertrieben werden. Aber es ist ein billiger
Trost, wenn man jemandem sagt, anderen sei es auch nicht besser ergangen. Es
kommt nur darauf an, wie man damit fertig wird. Die schönsten Worte können da
nicht helfen.
Und weil Herr Günther das weiß,
puhlt er an seiner Krautrolle herum und findet endlich ein Stück Zwirn, das er
sorgfältig auf seine Gabel wickelt.
„Das Verpackungsmaterial
brauchst du nicht mitzuessen“, erklärt Guggi lachend.
Die Mutter schüttelt den Kopf.
„Ich weiß nicht“, sagt sie, „ich weiß nicht, daß ausgerechnet du immer etwas
finden mußt. Ich könnte schwören, daß ich alle Zwirnsfäden der Küche abgemacht
habe.“
Herr Günther schiebt den Faden
mit dem Messer von der Gabel auf den Tellerrand.
„Ach, das ist ja nichts Neues“,
meint Guggi. „Vati muß mit irgendwelchen Geistern in Verbindung stehen, die ihm
immer was anhexen. Im Kuchen findet er die Zitronenschale. Beim Braten beißt er
auf ein Pfefferkorn. Und wenn er ein neues Oberhemd anzieht, piekt ihn bestimmt
eine Stecknadel.“
Brüder beteiligt sich nicht an dieser Unterhaltung. Er denkt an seinen Urwald. An
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