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Schwiegertöchter (German Edition)

Schwiegertöchter (German Edition)

Titel: Schwiegertöchter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Trollope
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Wohnung, obwohl deren Mitbewohnerin Nora ihr freundlicherweise ein extra Kissen gegeben hatte. Das Sofa war nicht lang genug, das Warmwasser nicht ausreichend und Marnie zu alt. Sie gehörte nicht mehr zu den Frauen, die sich frisierten und schminkten, während sie schnatternd in der Wohnung herumrasten, das Telefon in die Schulter und Haarspangen zwischen die Zähne geklemmt. Marnie war eine Frisierkommode mit Glasplatte, Dreifachspiegel und guter Beleuchtung gewöhnt. Als sie nach der Nacht auf dem Sofa erschöpft in der Hochzeitsabteilung von Liberty’s stand, hatte sie sich abgekämpft und ungepflegt gefühlt. Sie war nur die Besitzerin der Kreditkarte.
    Der heutige Tag aber war anders. Sie hatte sich auf diesen Tag vorbereitet. Sie hatte am Abend zuvor entschieden, was sie anziehen wollte, und als sie am Morgen die Vorhänge zurückzog, stellte sie erfreut fest, dass das Wetter ihren Plänen entgegenkam. Zwei Tage zuvor war sie bei ihrem Friseur in Beaconsfield gewesen, und zum Frühstück hatte sie noch reichlich von den späten Himbeeren gegessen. Sie hatte aufgeschrieben, was sie sagen wollte, und es sowohl frei vorm Spiegel als auch vom Papier ablesend eingeübt.
    Sie fuhr entspannt und ohne Hast zum Bahnhof. Sie hatte genug Zeit. Ihre Seniorenkarte sicherte ihr einen Platz in der ersten Klasse zu einem vernünftigen Preis, und sie kaufte eine Zeitung und eine Ausgabe von Country Life , ein Magazin, das ideal war, um für ihre Bilder zu werben oder für die Post- und Geburtstagskarten, auf denen sie sich so gut machten. Als sie auf den Zug wartete, wurde ihr bewusst, dass sie etwas vorhatte, was sie sich zu Gregorys Lebzeiten nie getraut hätte, was ihr gar nicht in den Sinn gekommen wäre. Sie zweifelte nicht daran, dass ihm die Idee gefallen hätte, nur hätte er sich gewünscht, dass es seine Idee gewesen wäre, um den Beifall dafür zu ernten. Marnie hatte sich im Laufe der Jahre daran gewöhnt, Gregory Beifall zu spenden, und auch einiges Geschick darin erworben, denn es hatte für gewöhnlich eine ganze Weile gedauert, bis er zufrieden war und meinte, alles ihm zustehende Lob erhalten zu haben. Als sie jetzt jedoch auf dem Bahnsteig stand, innerlich und äußerlich in bester Verfassung, wurde ihr bewusst, wie herrlich befreiend es war, wenn nicht länger jeder Gedanke und jede Handlung erst einen anderen Menschen passieren musste und womöglich von ihm absorbiert wurde.
    In Marylebone fuhr Marnie mit der Bakerloo-Line zum Oxford Circus, wo sie in Richtung Osten nach Liverpool Street umstieg. Gregory – wäre er noch da – hätte darauf bestanden, dass sie ein Taxi nahm, aber eine ihrer neuen Freiheiten bestand darin, sich nur noch dann etwas Besonderes zu gönnen, wenn ihr wirklich danach war. Außerdem war die kleine Ersparnis beim Kauf eines U-Bahn-Tickets zusammen mit der vergünstigten Zugfahrkarte sehr befriedigend gewesen. Geld zu verwalten war befriedigend, hatte Marnie entdeckt. Es war nicht mal schwierig, wenn man den Überblick behielt und außerdem das Glück hatte, ein verlässliches Einkommen zu haben. Sie erinnerte sich noch an die unzähligen Stunden, die Gregory in seinem Arbeitszimmer damit verbracht hatte, über Papieren zu stöhnen oder mit seinem Börsenmakler zu telefonieren. Wenn es unloyal war, seiner ewig aufgeregten Sorge um das Geld nur mit einem Lächeln gedenken zu können, dann war es eben so. Es schmälerte nicht ihre aufrichtige Dankbarkeit, dass sie wegen dieses ganzen Stöhnens und Schnaubens nun in einer wirklich sehr komfortablen Lage war.
    In Liverpool Street verließ Marnie die U-Bahn und stieg hinauf nach Bishopsgate. Schon im Zug waren lauter Menschen gewesen, die erfrischend anders waren, als Marnie es gewohnt war, was ihr nur noch mehr das Gefühl eines Abenteuers gab. Im Bahnhof Liverpool Street hatte Marnie plötzlich das Gefühl, dass sie gerade durch ihre eigene Durchschnittlichkeit extrem auffiel. Doch sie stellte erfreut fest, dass sie sich dadurch weder beunruhigt noch bedroht fühlte, sondern geradezu beschwingt. Ein großer Sikh mit Turban blieb kurz stehen, um ihr den Vortritt auf der Rolltreppe zu lassen. Sie dankte ihm, und bei seinem Lächeln hatte sie so ein Gefühl, als würde sie lange unbenutzte Flügel ausbreiten. Wie richten wir uns doch im Gewohnten ein, dachte sie, auch wenn es uns nicht gefällt.
    Es war ein angenehm milder Tag früh im September, wärmer in London als vorhin noch in Buckinghamshire. Marnie zog das Jackett aus und legte

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