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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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völlig entkräftet eingeschlafen.
    Seitdem pflegte der Junge, sobald er von der Schule nach Hause kam, sich unter dem Tisch zu verkriechen. Er achtete darauf, dass kein Teil seines Körpers zwischen den Tischbeinen hervorlugte. Er aß die Speisen, die ihm seine Großmutter brachte, rollte sich zusammen und schlief ein. Oder er steckte den Kopf zwischen die Knie und weinte leise vor sich hin. Er verspürte nicht die geringste Lust, die Schachfiguren aufzustellen, und er gab auch niemandem Antwort, der ihn darauf ansprach.
    Die Großeltern waren krank vor Sorge, vermieden es jedoch, ihren Enkel in seinem Unterschlupf zu stören. Der Großvater trat mehrmals am Tag ins Zimmer, aber anstatt mit dem Jungen zu reden, polierte er schweigend den Tisch mit Wachs. Die Großmutter nähte ihm aus Pawns Decke einen Beutel für die Schachfiguren, damit seine Hosentaschen nicht immer so ausgebeult waren. Und sein kleiner Bruder bot ihm sogar seinen Nachtisch an. Da jedoch der süße Duft den Jungen nur noch mehr an den Meister erinnerte und sein Herz bekümmerte, lief es am Ende darauf hinaus, dass der Kleine enttäuscht über die Zurückweisung zwei Portionen aß, seine und die seines Bruders. Niemand konnte den Jungen aufmuntern.
    Was der Großmutter am meisten Angst machte, war die Vorstellung, die Lippen ihres Enkels könnten wieder genauso zusammenwachsen wie zu seiner Geburt. Außer bei den Mahlzeiten öffnete er fast nie den Mund, und selbst da nur einen kleinen Spalt. Der Flaum klebte an der Schleimhaut, und die Narben auf Ober- und Unterlippe lagen derart zusammen, dass sie sich an die Zeit seiner Geburt erinnert fühlte. Abends kniete sie vor dem Bett ihres Enkels nieder und steckte ihm den Zeigefinger zwischen die Lippen. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie noch nicht zusammengewachsen waren, drückte sie ihr Tuch so fest, als wollte sie ein Dankesgebet sprechen.
    »Schlaf gut«, sagte sie leise.
    Noch die Wärme ihres Zeigefingers auf den Lippen spürend, schlief der Junge ein.
    Wann seine Trauerzeit sich ihrem Ende nähern würde, wusste niemand so recht, nicht einmal der Junge selbst. Seine Großeltern konnten nichts weiter tun, als über ihn zu wachen, wenn er unter dem Tisch hockte und den Schachbeutel umklammert hielt, als brütete er ein Ei der Traurigkeit aus. Alle warteten darauf, dass etwas geschah. Angestrengt lauschten sie, um den Moment, in dem die Schale aufbrach, nicht zu verpassen.
    Es war an einem Sonntagabend, als der Junge die Schnur des Beutels aufzog und die Figuren auf das Schachbrett stellte. Für seine Großeltern war dies das Zeichen, dass die Trauer ihres Enkels bald ein Ende nehmen würde. Die Familie beobachtete mit angehaltenem Atem, wie er jede Figur auf ihrem angestammten Feld postierte. Alle schienen sofort bereit, Stellung zu beziehen, dem Feind ins Auge zu blicken und dann in den Kampf zu ziehen.
    Seit diesem Tag schlief der Junge wieder in seinem Alkoven. Auch die Mahlzeiten nahm er wieder gemeinsam mit seiner Familie am Esstisch ein. Nichtsdestotrotz blieb der Platz unter dem Tisch für ihn der Ort, wo er sich seinem Meister am nächsten fühlte. Wenn er das Buch mit den Schachaufgaben aufschlug, war ihm, als hörte er die Stimme des dicken Mannes, der wohlgelaunt seinen nächsten Zug ankündigte.
    Nach der Entsorgung des Buswracks hatte man auch die inzwischen vertrocknete Sagopalme gefällt. In der Stadt ging das Gerücht um, dass die sterblichen Überreste des Hausmeisters in seine ferne Heimat gebracht und dort bestattet worden seien. Aber der Junge wollte nichts davon hören. Nie wieder sollte er das Gelände des Busdepots betreten.
    Es brauchte eine Weile, bis ein Zeichen ihm offenbarte, dass er nun nicht mehr zu trauern brauchte – ein Zeichen, das ihm von einer unsichtbaren Macht im Himmel gesandt wurde.
    Der Junge hörte in seinem elften Lebensjahr auf zu wachsen. Wie sehr er sich geistig auch weiterentwickeln mochte, sein Körper verharrte in der Größe, die dem Platz unter dem Tisch angemessen war.
    Niemand bedauerte diese Tatsache. Der Junge war zutiefst erleichtert, dass er der Tragödie des Größerwerdens entkommen konnte. Erst als ihm bewusst wurde, dass er klein bleiben würde, wurde er erwachsen.
    Die einzige Ausnahme bildeten seine Lippen. Als der Junge eines Tages merkte, dass der feine Flaum nun dunkel und kräftig nachwuchs, bekam er einen riesigen Schreck. Das üppig sprießende Haar war wild gelockt, und der Junge musste plötzlich an die

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