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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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aus dem Klub am Grunde des Meeres ihn verfolgte. Nur mit viel Mühe schaffte er es, die Koffer von der Bushaltestelle zum Bahnhof zu transportieren.
    »Nicht so hastig, mein Junge, nicht so hastig.« Er ermahnte sich, ruhig zu bleiben.
    Aber natürlich erregte er Aufsehen, wie er schweißgebadet und mit hochrotem Gesicht die Koffer mit lautem Getöse über den Gehweg schob. Er machte nicht gerade einen unauffälligen Eindruck. Für jemanden, der sich sonst immer im Inneren einer Puppe versteckt hält, war es eine Tortur, den Blicken einer so großen Menschenmenge ausgesetzt zu sein. Die meisten Passanten blieben verdutzt stehen, weil sie nur die Koffer sahen, die sich scheinbar von allein bewegten. Aber es gab auch hilfsbereite Leute. Auf der Treppe half ihm ein freundlicher Herr mit den Koffern. Und die Dame, die hinter ihm in der Schlange vor dem Fahrkartenschalter stand, hob ihn hoch, sodass er sich ein Ticket kaufen konnte.
    »Ich danke Ihnen vielmals«, sagte der Junge jedes Mal und verneigte sich höflich. Der Rucksack, den er bei sich trug, war klein wie eine vertrocknete Knospe. Außer der Puppe besaß er nicht viel.
    Im Zug verzichtete er auf einen Sitzplatz. Stattdessen hockte er sich neben die beiden Koffer, die er nahe der Waggontür an die Wand stellte. Er wusste weder, wie weit es war bis zur Residenz »Etüde«, noch, um was für eine Einrichtung es sich genau handelte und ob dieser Ort für den Kleinen Aljechin geeignet war. Alles, was er in Händen hatte, war ein Fetzen Papier, den ihm die alte Dame überlassen hatte. Es handelte sich um eine Kleinanzeige aus einer Zeitung. Sie war nicht etwa mit einer Schere ausgeschnitten, sondern hastig herausgerissen worden. Darauf stand zu lesen:
    Seniorenresidenz »Etüde« sucht begabten Schachspieler
.
    Als er am Bahnhof von der Frau zum Schalterfenster hochgehoben worden war, hatte er als Fahrziel »Residenz Etüde« angegeben. Er wusste nicht, wo er sonst hätte Zuflucht suchen können. Er faltete den Fetzen Papier, den er sich unzählige Male angeschaut hatte, sorgsam zusammen und verstaute ihn im Rucksack, aus dem er nun seinen Beutel mit den Schachfiguren holte.
    Ohne einen Blick auf die Landschaft werfen, die draußen an ihm vorüberzog, hockte er die ganze Fahrt über zusammengekauert neben seinen Koffern und hielt den Beutel an sein Herz gedrückt. Wäre der Schachtisch, der sich in einem der beiden Koffer befand, hier aufgestellt gewesen, hätte er sich bestimmt darunter verkrochen. Denn er war ganz in seiner Rolle als Kleiner Aljechin aufgegangen. Selbst wenn er sich gerade nicht im Inneren der Puppe befand, seine Glieder hatten längst deren Form angenommen.
    Mit geschlossenen Augen vergrub er seine vernarbten Lippen tief in dem Beutel. Hin und wieder klopfte ihm der Schaffner oder ein Mitreisender besorgt auf die Schulter. Dann stellte der Junge sich schlafend. Sosehr er auch lauschte, die Schachfiguren blieben stumm. Nur die Stöße der Schienen waren zu hören.
    Am Morgen nachdem sie der Schachpartie zwischen dem Jungen und der alten Dame beigewohnt hatte, schloss seine Großmutter für immer die Augen. Als sie ihr geliebtes Tuch nicht mehr aus eigener Kraft halten konnte, legte der Großvater es auf ihre Brust, deren magere Rippen sich unter ihrem Kimono abzeichneten. Das Tuch war mittlerweile derart verschlissen, dass es stellenweise auseinanderfiel. Als sich die Brust der alten Frau nicht mehr hob und senkte, wussten der Großvater und seine beiden Enkel, dass sie ihren letzten Atemzug getan hatte.
    Jeder der drei verabschiedete sich auf seine Weise, nur der jüngere Bruder konnte seine Tränen nicht zurückhalten. Nachdem der Tod eingetreten war, gingen auch die Schwellungen zurück, die den Körper der Großmutter so verändert hatten. So bekam der Junge noch einmal ihr Gesicht zu sehen, wie es früher beschaffen war. Seine Großmutter hatte ihren Frieden gefunden.
    »Alles ist gut«, raunte er ihr zu, so leise, dass nur die Haare auf seinen Lippen erzitterten. »Jetzt brauchst du dich nicht mehr um alles zu kümmern.«
    Es wurde eine schlichte Bestattungszeremonie. Als Trauergäste kamen Leute aus der Nachbarschaft, die sie gekannt hatten, und ein paar entfernte Verwandte. Den schmucklosen Altar zierten einige weiße Blumen, ihr Tuch war das Einzige, was dem Sarg beigelegt wurde.
    Nach dem Begräbnis ging der Junge nachts hinunter in die Werkstatt. Alles war noch genauso wie am Abend zuvor, als er mit der alten Dame Schach gespielt hatte.

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