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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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verbarg.
    »Ich würde mich gerne mit einem Geschenk erkenntlich zeigen. Irgendetwas Hübsches …«
    Der Alte wühlte in seiner Einkaufstasche herum und kramte schließlich einen kleinen Gegenstand hervor, den er auf das Schachbrett legte.
    »Das trug meine Katze, die ich früher hatte, um den Hals. Sie war nicht so klug wie Ihre, aber auch sie liebte Schach. Ich danke Ihnen vielmals. Gute Nacht!«
    Seinen Trolley hinter sich herziehend, verließ der Alte das Schachzimmer ein wenig wackliger auf den Beinen als bei seiner Ankunft.
    Erst nachdem seine Schritte verklungen waren, kroch der Junge aus der Puppe heraus.
    Das Licht war gelöscht, und draußen herrschte, bedingt durch das Laub der Bäume, eine tiefe Dunkelheit. Ihm aber genügte das winzige orangefarbene Flackern im Ofen. Er legte sich auf den Teppich und streckte vorsichtig nach und nach seine steifen Glieder von sich. Hier gab es leider niemanden, der ihn massierte. Zwischen den Figuren, die noch auf dem Brett standen, lag ein kleines Glöckchen. Der Junge stand wieder auf, nahm es in die Hand und hielt es sich ans Ohr. Es gab einen ganz feinen, verhaltenen Ton von sich. Als hätte es längst vergessen, wie es klingelte.
    Am nächsten Tag zog er eine Schnur durch das Glöckchen und band sie dem Kater um den Hals, bevor er in der Puppe verschwand. Von nun an war das Glöckchen ein Signal dafür, dass der Kleine Aljechin bereit war. Wenn es am Hals des Katers hing, nahm einer der alten Herren Platz, und wenn nicht, mussten sie sich gedulden.
    Drei Monate wohnte der Kleine Aljechin nun schon in der Residenz »Etüde«, als ein Brief von Miira eintraf. Es war ein dünner weißer Umschlag.
    In den Bergen war es gerade bitterkalt. Die Gipfel waren schneebedeckt und zumeist nebelverhüllt. Die Feuchtigkeit auf den Wiesen gefror nachts zu Reif. Der Brief für den Jungen wurde von einem der beiden Zwillinge in der Residenz abgeliefert.
    »Der ist bestimmt von deiner Liebsten«, sagte der Gondelführer, während er die aus der Stadt gelieferten Lebensmittel, Medikamente und Haushaltsgüter sortierte. Der Junge vermutete, dass es derjenige der Zwillingsbrüder war, der ihm damals bei seiner Ankunft die Koffer in der Seilbahn verstaut hatte.
    »Nein, da ist niemand …«, sagte der Junge und schüttelte vage den Kopf.
    »Aber es ist doch schön, wenn jemand einem schreibt«, beharrte der Zwilling.
    Die einzige Methode, die beiden auseinanderzuhalten, war das Schachspielen. Der Erstgeborene spielte gerne auf Remis, was der Jüngere verabscheute.
    Der Junge dankte ihm und ging hinüber zum Personaltrakt, wo sich sein Zimmer befand. Dort legte er den Brief auf den Tisch und sah ihn eine Weile aufmerksam an. Das Weiß des Umschlags erinnerte ihn unweigerlich an die Taube. Miiras Gewand und ihre dazugehörige Kopfbedeckung tauchten vor seinem inneren Auge auf. Als er den Umschlag aufriss, kam ein einzelner Briefbogen zum Vorschein. Darauf standen keine Neuigkeiten, keine Grußworte, kein Datum. Es gab nicht einmal eine Unterschrift. Stattdessen stand dort, genau in der Mitte des Bogens, in Miiras unverkennbarer Handschrift: »e4«.
    Eine Woche später schrieb der Junge ihr zurück:
    Seine Antwort lautete: »c5«.
    Von den Aufgaben, die er neben der Betreuung des Kleinen Aljechin hatte, war die schlimmste, der Oberschwester ihr Nachtmahl zu bringen, kurz bevor das Licht gelöscht wurde. Wie alle Mitarbeiter wohnte auch sie im Personaltrakt, aber ungeachtet ihrer Schicht pflegte sie stets vor dem Zubettgehen noch etwas zu sich zu nehmen. Der Junge wärmte das in der Küche zubereitete Essen auf, machte Tee und brachte ihr alles aufs Zimmer. Das Problem dabei war, die Speisen so zu reduzieren, dass die Oberschwester nichts davon mitbekam. Allein die Vorstellung, dass sie nach dem üppigen Abendessen zu so später Stunde sich noch einmal den Bauch vollschlug, ließ ihm keine Ruhe. Denn er hatte noch immer ein schlechtes Gewissen, dass er den auf Süßigkeiten versessenen Meister nicht von seiner Naschsucht abgehalten hatte. All seine schlimmen Bilder – der Meister, wie er mit dem Kran aus dem Buswrack gehievt werden musste, Indira, die nicht mehr in den Fahrstuhl hineinpasste – projizierte er auf die Oberschwester. In Gedanken sah er sie auf halber Strecke in der Seilbahn feststecken: Die Gondel, deren Seile schon so ausgeleiert sind, kann ihr Gewicht nicht mehr befördern und droht nun abzustürzen.
    Die Dicke der Brotscheiben reduzierte er von sieben auf fünf

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