Schwindel
gedroht, die Fotos Esras Familie zu schicken. Wenn
meine Eltern solche Fotos von mir bekämen, wäre bei uns schon die Hölle los, aber was bei ihrer Familie abgehen würde, möchte
ich mir nicht ausmalen. Das ist für die Moslems ja ’ne Verletzung der Ehre oder so.«
Ich nickte, davon hatte ich schon einiges gehört. Esras Angst konnte ich sehr gut verstehen. Sie machte auf mich auch einen
sympathischen Eindruck, ich war sicher, dass sie die Wahrheit sagte. Dennoch: Irgendwie hatte ich immer noch das Gefühl, dass
diese Clique etwas vor mir verbarg.
»In der Schule konnten wir ihn dazu bringen, die Datei zu löschen«, sagte Esra und wischte sich eine Träne ab. »Aber das Fotohandy
hat er einfach nicht rausgerückt und es war ja im Unterricht, wir konnten keinen großen Aufstand machen. Wahrscheinlich hat
er die Bilder längst auf seinem eigenen Rechner.«
»Wir haben leider viel zu spät gemerkt, dass er mitdem Handy Fotos gemacht hat«, sagte Julian, »das hat er heimlich getan. Typisch Mirko, er ist echt ’ne Ratte. Der ist so einer,
den man einfach übersieht, das geschieht ganz unbewusst, man denkt sich: Heute ist so ein schöner Tag, da blende ich die unangenehmen
Menschen einfach aus.«
Deshalb hatte Mirko von einem Handy gesprochen! Für einen Moment war ich versucht, dies zu sagen, doch ich bremste mich noch
rechtzeitig. Auch wenn sie mich gerade nicht attackierten, war es sicherer, ihre Aufmerksamkeit nicht mutwillig auf mich zu
lenken. Schlimm genug, dass ich Zeugin ihrer Rache geworden war.
»Es ist auch so unfair!«, rief Esra den Tränen nahe. »Wenn ich ihm irgendwie was getan hätte, wenn ich ihn gemobbt und gehänselt
hätte, wie’s viele andere aus unserer Schule tun, dann hätte ich’s ja noch verstanden! Aber ich hab ihm nie was getan! Er
hat überhaupt keinen Grund, mich fertigzumachen!«
»Der wird dich nicht fertigmachen. Eher machen wir den fertig. Und das weiß er auch.« Dustin nahm einen Schluck Bier und verschränkte
die Arme vor der Brust.
»Hast du jetzt verstanden, Evchen, warum wir gestern nicht die Polizei holen konnten und ich alles herunterspielen musste?«,
fragte mich Julian.
»Jetzt kennst du die Hintergründe.« Chris nickte mir aufmunternd zu. »Ich hoffe, du hast jetzt eine bessere Meinung von uns.«
Ich war erleichtert, dass er sich vor mich stellte. Obwohl Julian das auf seine Weise auch tat, hatte ich das Gefühl, mich
auf Chris vielleicht noch mehr verlassen zu können.
»Laura, zeig Eva mal die Fotos, die Mirko Esra zugesteckt hat, damit sie weiß, wovon wir reden!«
»Ach, lass, das ist nicht nötig, das weiß sie auch so, Mickey! Meine Freundin ist nicht blöd.« Julian legte einen Arm um mich.
»Sie ist für Gerechtigkeit, und auf wessen Seite die Gerechtigkeit ist, weiß sie jetzt. Nicht wahr?« Er küsste mich auf den
Mund.
Ich ließ es zu, froh, nicht Stellung beziehen zu müssen, hielt mit einer Hand seine fest und nahm mit der anderen die drei
in schlechter Qualität gedruckten Fotos, die mir Laura jetzt doch herüberreichte. Obwohl die Abzüge DIN-A 4-Format hatten, musste ich mich wegen Julians immer heftiger werdender Umklammerung anstrengen, etwas auf ihnen zu erkennen. Zudem
wurde es nun dunkel auf dem Picknickplatz und das lodernde Feuerchen brachte zwar Helligkeit, störte durch sein Flackern aber
auch meine Konzentration.
Zu sehen war, wenn auch teilweise verdeckt von Gästen, die vor ihr standen, Esra mit geschlossenen Augen, rot geschminktem
Mund, sexy geöffneten Lippen und neckisch rausgestreckter Zunge. An sich war es ein albernes Bild, ein harmloser Versuch,
die Pose eines Playboy-Covergirls nachzuahmen, meine Eltern hätten es als Jux abgetan – wenn nicht der Junge hinter ihr auf
einem Tisch gesessen, seine Beine um ihren Bauch geschlungen und seine Hände auf ihre Brüste gelegt hätte. Von dem Jungen
waren nur die Hände, die braunen Haare, ein Turnschuh und ein Stück der Jeans abgelichtet. Er hatte seinen Kopf auf Esras
Schulter gestützt und verschwand fast ganz hinter ihrem Rücken. Auf dem zweiten Foto hatten seine Hände Esras Top ein Stückchenhochgeschoben, auf dem dritten hatte sie sich dann zu ihm umgedreht und der Betrachter konnte erahnen, dass es möglicherweise
nicht bei dem Stückchen geblieben war.
Mir wurde heiß. Wer war der Junge? War das Julian? Waren es seine braunen Haare, seine Turnschuhe? Julian trug solche, das
wusste ich. Allerdings hieß das
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