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Schwindel

Titel: Schwindel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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Grund?«
    »Weil wir seinem Sohn nicht geholfen haben.«
    »Hm, ja, aber ich glaube nicht, dass er sich die Zeit nimmt, dein Tagebuch zu lesen und sich so eine haarsträubende Aktion
     auszudenken. Das passt nicht zu ihm.«
    Wir schwiegen. Ganz von der Hand zu weisen waren Julians Argumente nicht. Zudem war Bernd heute Morgen mit Mirko weggefahren.
     Was aber nichts hieß, denn als wir gerade zurückkamen, war der Jeep wieder da gewesen. Zeit genug hätte Vollmer unter Umständen
     also gehabt, wenn er, mal angenommen, Mirko, der sicher kein eigenes Auto besaß, nur kurz zu einem Termin gebracht und mal
     schnell fotokopiert hätte.
    »Vielleicht war’s irgendein Irrer, der im Leben anderer Leute rumschnüffelt. Zufällig ist er auf dein Buch gestoßen, hat gelesen,
     dass du in der Mühle wohnst – hast du das da reingeschrieben?«
    Ich nickte.
    »–   und jetzt will er dich ärgern.« Julian stand auf undging zum Fenster. »So was sieht man ja oft in Filmen. Psychisch kranke Serienmörder. Wahrscheinlich sitzt der da mit Regenschutz
     und Fernglas bewaffnet in einem Baum und holt sich einen runter.«
    »Erzähl nicht so ’n Krampf, bitte!«
    »Man weiß nie«, sagte Julian ernst. »Ich verstehe diese Sache nämlich nicht. Vollmer hat bessere Möglichkeiten, uns zu schaden,
     wenn er will. Er kann meinen Eltern das Apartment kündigen, das ist bei dem Vertrag, den wir haben, keine große Sache. Schleicher
     würde ich alles Miese zutrauen, aber er hat leider keinen Grund, dich fertigzumachen. Gut, du hast ihm nicht geholfen, aber
     du hast ihm Hilfe angeboten und er hat sie abgelehnt.«
    »Kannst du Mirko nicht mal beim richtigen Namen nennen?«
    »Wozu? Wenn ich’s mir recht überlege, braucht Schleicher auch gar keinen Grund. Was in dessen Hirn vorgeht, ist eh nicht nachvollziehbar.
     Aber was gegen ihn spricht, ist, dass er gerade eben eins auf die Nase gekriegt hat – er weiß, was passiert, wenn er sich
     mit uns anlegt. Schleicher ist feige und wehleidig; ich kann mir nicht vorstellen, dass er leichtfertig wieder Prügel riskiert.
     Seltsam! Also, entweder steckt wirklich ein Irrer dahinter oder wir haben eine entscheidende Sache übersehen.« Julian drehte
     sich wieder zu mir um, fragte: »Wer hat, außer meinen Freunden vielleicht, einen Grund zu wollen, dass du abreist? Was hast
     du gemacht, was hast du gesagt, was hast du gesehen oder gehört, dass dich jemand vertreiben will?«
    »Ich weiß es nicht.« Nach einer Pause fügte ich leiser hinzu: »Ich überlege ja selbst schon die ganze Zeit, obich nicht nach Hause fahren soll. Manchmal denke ich, du willst mich hier auch nicht haben.«
    »Ach, Unsinn!«, rief Julian und warf sich neben mich auf das Bett, was bei mir augenblicklich ein flaues Gefühl auslöste.
     »Das stimmt doch nicht! Ich lieb dich doch, Eva!« Er nahm mich in den Arm und drückte mich ganz fest und dann weinten wir
     beide ein bisschen. »Was meinst du, wie sehr ich’s bedauere, dass wir bisher so wenig Zeit für uns hatten.«
    Was meinte er erst, wie sehr
ich
das bedauerte! Was war ich bis vor wenigen Stunden in diesen Jungen verliebt gewesen! In sein süßes Rundaugengesicht, seinen
     Übermut, auf den so oft Schüchternheit folgte, seine Lebensfreude und seine Zärtlichkeit. Er war für mich der, mit dem ich
     die Liebe ausprobieren und erleben wollte – und was hatten wir gehabt? Ein einziges Mal zu einem Zeitpunkt, an dem wir beide
     schon angeknackst waren, ein erstes Mal, das schön, aber eben auch das erste, angstbesetzte, schmerzhafte, ungeschickte Mal
     gewesen war. Jetzt steuerte dieser Urlaub wie ein Wagen in der Achterbahn auf einen Abgrund zu: Körperverletzung, Erpressung,
     ein tödlicher Unfall, vielleicht sogar ein Mord – alles war schon passiert und es würde wahrscheinlich so weitergehen. Und
     am Ende, was wäre da? Eine Trennung?
    Eine Welle der Wehmut ergriff mich. Dieser Junge, Julian, gehörte immer noch zu mir, weil ich nicht abgefahren war, weil wir
     hier festsaßen, uns wegen Alinas Tod in Schock und Trauer befanden und durch den Erpresser bedroht wurden. Die bedrückende
     Stimmung, die sich über die Mühle gelegt hatte, hielt uns zusammen.
    Julian küsste mich, am Hals, heftig, schien mir, oder war ich es, die ihn zuerst heftig, drängend, überlebensdrängend küsste?
     Ich zog mir den Pulli über den Kopf und griff nach seinem T-Shirt . Das erste Mal, das letzte Mal, dachte ich. Darf ich das denn überhaupt, wenn Alina doch tot ist? Ich bin

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