Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
Papier. Der Rausch war vorüber, aber die Vision war noch da. Auch am nächsten Tag noch und am übernächsten. Sie verschwand nicht, und ich dachte: Danke, Lillemor Troj. Endlich bin ich dich los. Endlich kann ich meinen Roman allein schreiben, und ich weiß, wie er heißen wird. Ich brauchte ziemlich lange, um eine Karteikarte zu finden, die ich vor langer Zeit beschrieben hatte, damals, als es für uns gut zu laufen anfing. Ich holte meine alten Karteikästen hervor, und schließlich fand ich sie. Darauf steht:
Es war eine Frau, die sah eine große, dicke Kröte, welche gebären sollte. Die Frau sagte: Soll ich kommen und dir helfen, wenn es so weit ist? Es war natürlich ein Scherz. Eines Tages aber wurde die Frau zu einer Höhle unter einem Stein gerufen. Sie half dem Geschöpf, das kaum eine Kröte war, gebären. Und bekam Silberlöffel.
Lillemor teilt jetzt Max’ Sorge,
dass das Manuskript aus dem Verlagshaus gelangen könnte. Seit sie die vom Bett gerutschten Blätter aufgesammelt hatte, achtete sie auf die Reihenfolge und steckte jedes gelesene Blatt nach hinten. Auf diese Weise hat sie immer die ganze paperasse bei sich gehabt, wenn sie in der Wohnung von einem Zimmer zum anderen gegangen ist. Und deshalb bekommt sie auch einen Schock, als das Titelblatt auftaucht. Es ist, als wäre das Manuskript hier zu Ende. Was ja nicht möglich ist.
Sie liest noch einmal die paar Zeilen über die Kröte. Blättert zurück, findet aber keine übersprungenen Seiten und erkennt, dass sie das Ganze noch mal von vorn bis hinten durchblättern muss. Sie ist jetzt nervös und beschließt, sich zu beruhigen, indem sie duscht, sich anzieht und sich ein Frühstück bereitet. Anschließend kann sie das Manuskript am Küchentisch sorgfältig durchblättern, um den fehlenden Teil zu finden.
Babba hat tatsächlich den ganzen Papierhaufen paginiert. Es ist bemerkenswert, dass sie weiß, wie das geht. Das gesamte handschriftliche Manuskript in ein Textverarbeitungsprogramm einzugeben muss für sie mühsam gewesen sein. Es wäre jedoch zu viel erhofft, dass keine Sicherungskopien existieren. Zumindest bei Rabben und Sjabben haben sie welche angefertigt, und Max hat selbstverständlich auch mindestens zwei, drei machen lassen und in den Tresor gelegt. Der ganze Cyberspace blitzt und flimmert von Kopien der Kopien von allem möglichen Schund, und natürlich findet sich auch dieses Manuskript als elektronisches Duplikat in irgendwelchen Computern und wird nicht endgültig getilgt werden können. Lillemor wünscht, es wäre in einem versiegelten Tontopf so tief in der ägyptischen Wüste vergraben, dass es niemals gefunden und gedeutet werden könnte.
Babba hat über Autobiografien von Schriftstellern immer höhnisch gelacht und gesagt, am wenigsten wahr seien sie in den Beschreibungen des eigenen Scheiterns. Selbstkritische Koketterie hat sie das genannt. Und jetzt hat sie selbst eine geschrieben. Es ist natürlich eine mock autobiography , eine ebenso missgestaltete Hybride wie die mock turtle in Alice im Wunderland . Unter anderem deswegen, weil sie keinen Schluss hat. Es ist, als hätte man dieser Falschen Suppenschildkröte den Kalbskopf abgeschlagen. Head off! Ruck, zuck und ohne zu fackeln.
Vermutlich wäre alles, was sie geschrieben hat, so geworden, wenn ich nicht eingegriffen und die Texte in Fasson gebracht hätte, denkt Lillemor. Abrupt, unstrukturiert – und bissig. Babba ist ja nicht mal intellektuell. Ihre Lektüre hatte immer etwas Rohes an sich. Sie hat wie eine Wildsau nach den Trüffeln gewühlt und die Kartoffeln und Steckrüben liegen lassen. Ein intellektueller Mensch darf aber nicht wählerisch sein. Ein Humanist muss doch auf jeden Fall das Denken seiner Zeit erfassen und versuchen, es zu verstehen! Es ist Vermessenheit, Vergil zu seinem Zeitgenossen zu machen, Wahnsinn zu behaupten, Ekelöfs Mölna-Elegie sei die einzig gültige Beschreibung der modernen Welt, die in Schweden entstanden sei, und ein Scherz, Thomas Mann habe den galligsten Humor unserer Zeit. Ach herrje! Lillemor sieht Adrian Leverkühns zweideutiges Lächeln vor sich, wenn der Vater in Doktor Faustus den Jungen die Abnormitäten der Natur zeigt. Thomas Mann war ungesund!
Als sie mit dem Kaffeebecher neben sich dasitzt, versucht sie, sich Ruhe einzureden. Ihre Hände sind jedoch flattrig, als sie das Manuskript durchblättert. Sie hält inne, als sie zu der Seite kommt, wo steht:
Während sich Lillemor Troj so erfolgreich durch die Welt
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