Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
Lillemor Troj gesehen. Sie ist in Wirklichkeit gar nicht so hübsch.
Es war vor drei Jahren, als Lillemor etwas sagte, was ich eigentlich nicht mehr erwartet hatte. Sie sagte, sie wolle nicht mehr, und sie sagte es ohne Umschweife: »Ich will nicht mehr.«
Obwohl das letzte Mal lange her war, wusste ich, was sie meinte. Aber ich ließ sie ein bisschen schmoren.
»Was nicht mehr? Was willst du nicht mehr?«
»Ich finde, wir sollten nicht mehr weitermachen«, sagte sie. »Ich bin müde.«
»Müde?«
»Ja, ich bin alt. Und du auch.«
»Du bist sechsundsiebzig«, sagte ich.
»Ja, das ist doch keine unrechte Zeit zum Aufhören. Autoren verstummen.«
»Ach so«, sagte ich. »Ich soll mundtot gemacht werden, und du wirst weiter in deinem akademischen Seniorentreff sitzen und Lebensbeschreibungen verfassen, Direktorenreden halten und auf Nobelfesten herumalbern. Das hast du dir so vorgestellt! Was?«
Sie schwieg natürlich.
»Ich weiß, du hast es nicht gemocht, wenn ich früher zur Jahresfeier kam, und wenn ich auf der Buchmesse und im Vasatheater und im Akademibokhandel und weiß der Himmel, wo du aufgetreten bist, in der ersten Reihe saß. Du wolltest mich nicht dabeihaben. Und in den letzten Jahren bin ich ja auch nicht mehr gekommen. Habe ich dich gestört?«
Ich musste es noch mal sagen, damit sie antwortete, und dann reagierte sie lediglich mit einem Kopfschütteln und ohne den Blick zu heben.
»Unsere Zusammenarbeit in den letzten Jahren war doch rein beruflich«, sagte ich. »Wir sind zusammen die Manuskripte durchgegangen. Du hast Korrektur gelesen und die Bücher vorgestellt. Wie viel Geld du eingestrichen hast, nicht zuletzt mit den ausländischen Ausgaben, davon reden wir erst gar nicht. Jedenfalls hast du so viel, dass es reicht, und ich weiß, dass du es mithilfe einer Vermögensverwaltungsgesellschaft gut angelegt hast. Was ich nicht tun konnte. Weil mein Geld schwarz ist und nicht mal auf ein Konto eingezahlt werden kann.«
Ich dachte, sie würde darauf reagieren, aber es kam nichts, und so fuhr ich fort. »Du glaubst, du kannst mich mundtot machen.«
Sie schwieg und sah auf ihre Hände. Dann murmelte sie etwas davon, dass sie Angst habe.
»Wieso Angst? Glaubst du, dass du jetzt noch auffliegst? Das ist doch lächerlich.«
Sie murmelte wieder etwas, und ich musste nachfragen: »Angst? Vor mir?«
Sie ließ den Kopf hängen und sah auf ihren Schoß hinab. Nickte mehrmals.
»Das ist unglaublich«, sagte ich.
Als sie den Blick weiter gesenkt hielt, wurde ich ärgerlich. Warum führte sie sich dermaßen auf? Markierte das verängstigte Kind. Ihr üblicher Hilflosigkeitstrick.
»Hör auf«, sagte ich. Doch dann wurde mir klar, dass ich nicht so weitermachen wollte. Sie konnte meinetwegen gern dasitzen und ihre Hände im Schoß anstarren. Sie hatte sie so fest geballt, dass die Knöchel glänzend weiß und rot gestreift leuchteten. Immer diese elaborierte Ausdrucksweise. Ihr Körper hielt gehorsam die entsprechende Haltung bereit.
Ja, war sie nicht ein Automat, der vor hingerissenen Zuschauern hampelte und weinte und sang? Ich war aber nicht hingerissen. Ich hörte die Maschinerie in ihr knirschen und stand auf, um zu gehen. Sobald sie allein wäre, hätte die Demonstration ein Ende, das wusste ich. Nachdem ich die Tür hinter mir zugemacht hätte, wäre ein Seufzer wie aus einer hydraulischen Pumpe zu vernehmen. Um das zu wissen, brauchte ich mich nicht umzudrehen.
Auf den Gedanken, dass ich die Wahrheit über uns erzählen könnte, kam sie gar nicht. Ich kam ja selbst nicht darauf, war nie darauf gekommen, komischerweise. Zu Hause angelangt, stieg mir diese simple Tatsache mit einer unmittelbaren Kraft, die nur mit dem Ausbruch eines artesischen Brunnens verglichen werden kann, in den Sinn. Ich stand mit einem ausgewrungenen Spüllappen in der Hand in der Küche. In meinem Innern wurde es vollkommen still, der Tag und die Zeit versanken. Ich sah meinen Roman vor mir wie seinerzeit Proust den seinen, als er vor dem Palast der Guermantes über den Pflasterstein stolperte.
Die Geschichte über Lillemor Troj war ein Geschenk des Zorns, und der entzündete alle Lichter in mir. So kann der Zorn der Abgewiesenen eine starke Kraftentfaltung bewirken, statt sich selbstzerstörerisch nach innen zu richten.
Ich weiß nicht, wie lange dieser Zustand anhielt, doch war ich nicht mehr in der Küche, als er vorüber war, sondern saß am Schreibtisch. Ich hielt den Füller in der Linken und tastete nach
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