Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
Final in dem, was sie Schwindlerbranche nennt. Wenn sie Lillemor Troj erst vernichtet hat, wird sie nichts mehr haben.
Zweimal hat Lillemor an diesem Vormittag das Manuskript durchgeblättert und erkennen müssen, dass sich in der paperasse nichts versteckt hat. Der Roman endet mit dem Text über die Kröte und die Silberlöffel. Es wird Nacht, bevor sie erkennt, dass dies auch eine große Erleichterung ist. Sunes wegen. Ihr ist nämlich wieder etwas in den Sinn gekommen: Babba, die sich mit Sune über Literatur streitet.
Politisches Denken sei systematisch-analytisch und schließe verworrene und widersprüchliche Teile der Wirklichkeit aus, seien sie nun kommunistisch oder sozialdemokratisch, sagte sie einmal. Systematisch denkende Menschen schrieben Bücher, die gejäteten Beeten glichen. Man bekomme keinen Arthur Rimbaud oder James Joyce in einer gerechten und rechtschaffenen Volksbildungskultur wie der unsrigen.
Sunes Wangen hatten bestimmt Farbe bekommen. Er erwiderte, dass er Analyse einem noch so literaturfördernden Gedankenwirrwarr vorziehe.
»Wirrwarr hast du ja trotzdem schon«, sagte Babba. »Freilich ist er nicht so umfassend, sondern läuft wohl vor allem darauf hinaus, dass etliche Bücher aus der Schulbibliothek rausgeschmissen werden sollen. Das wird nicht mehr lange dauern.«
Es musste sich demnach um eine Erinnerung aus den Siebzigerjahren handeln, als die Heimvolkshochschule glühend marxistisch wurde. Da fällt Lillemor ein, dass in dem Manuskript etwas über diese unbehagliche Episode aus Die Thibaults steht, als Rachel, die mit Hirsch in Afrika gelebt hat, den liebenswürdigen Antoine verlässt, um sich von Hirsch wieder prügeln zu lassen und in dieser … Atmosphäre zu leben. In der alles erlaubt ist und nicht mal ein Menschenleben etwas bedeutet. Und dass sie sich selbst daran beteiligt hat, Sune mit dieser Art Nihilismus zu reizen. Sie will nicht mehr daran denken, sich nicht erinnern, wie stark Babba sie einst beeinflussen konnte.
Sune ist immerhin davongekommen, denkt sie. Er ist Babbas Hohn entgangen. Er ist zwar tot, aber Lillemor möchte auch nicht, dass er posthum Schmähungen ausgesetzt wird. Als Babba ihn mit Afrika und Hirschs Liederlichkeit aufzog, war sie dem schmerzlichen Punkt in Sunes Leben sehr nahe. Wusste sie das?
Lillemor knipst die Lampe über dem Bett an, steht auf und holt das Manuskript. Sie sucht die Stelle heraus: Dieses ganze verdammte Afrika war wie eine große, sanfte Finsternis, wo man samtweiche Neger fickte und folgenlos erschoss.
Babba hat etwas Widerliches an sich. Sie behauptet, durch Leute, Gebäude und Zeiten hindurchsehen zu können. Lillemor hat das für großtuerisches Geschwätz, Genieattitüden und Aufgeblasenheit gehalten. Doch manchmal hat sie sich gefragt, ob Babbas Blick nicht etwas hat, nichts Übernatürliches, sondern eher etwas gar zu Natürliches. Sie muss Jonathan Tegete in der Schule gesehen haben. Wusste sie, dass Sune ihm in dessen Heimatdorf in Tansania gefolgt war? Dass er ihn liebte?
Lillemor hatte nichts begriffen. Als Sune Sissela Boks Lügen las, bekam er wieder einen Wahrheitsschub, doch er nannte keinen Namen. Hinterher ist ihr durch den Kopf gegangen, dass er weder sie noch er gesagt hatte. Sie hatte selbstverständlich angenommen, dass es sich um eine Frau handelte.
Er hatte Gewissensbisse, in welchem Umfang und weshalb eigentlich, wusste sie nicht genau. Weil Jonathan Tegete schwarz war und zumindest am Anfang noch ein sehr junges Bürschchen? Gewissensbisse hatte er aber natürlich auch ihretwegen. Denn zu guter Letzt war von ihrem gemeinsamen Sexualleben ja nichts mehr übrig. Ein klinisches Wort, das gut in eine Zeit passt, die Sexualität sowohl als ein Recht als auch eine Pflicht betrachtet. Weiß Gott, ob es mit dem Glück nicht auch so ist, denkt Lillemor, nachdem sie die Bettleuchte ausgeschaltet hat. Man ist verpflichtet, es sich zu beschaffen. Ebenso, wie man die chinesische Mauer sehen muss und Kinder haben, die Geige spielen oder Islandpferde reiten. An die Mittelschicht werden hohe Anforderungen gestellt.
Wie ist es ausgegangen? Sune hat sich der sozialdemokratischen Bruderschaftsbewegung angeschlossen, denn die Liebe zu Jonathan hatte ihn derart in seinen Grundfesten erschüttert, dass er christlich wurde. Er las seine Konfirmationsbibel, bis sie Eselsohren hatte. Es kann nicht sehr tröstlich gewesen sein. Alle, die so lebten, verdienten den Tod, schreibt Paulus über Männer mit Sunes Veranlagung.
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