Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
unsere Gespräche hatten sowie die Synopsen, wie Lillemor das nannte. Sie strukturierte gern, obwohl sie dramaturgischen Aufbau nicht gelernt hatte. Ich glaube, solche Kurse kamen erst mit dem Fernsehen auf. Sie besaß jedoch ein inneres Gespür für Einleitung, Entwicklung, Höhepunkt und Schluss. Sie sagte, das Leben sei so, und ich fühlte mich nicht bemüßigt, ihr zu erklären, dass sie sich irrte, denn immerhin passte es gut fürs Krimischreiben. Also richtete ich mich damals danach. Später nicht mehr. Jedenfalls nicht immer. Ich habe ihr aber auch etwas beigebracht. Zum Beispiel: Kriegt man auf den ersten Seiten nicht mit, in welcher Jahreszeit man gelandet ist, sollte man den Roman weglegen.
Wir versuchten, so viel wie möglich in der Kate im Wald von Roslagen zu schaffen, doch erreichten wir nicht immer unser Ziel. Roffe musste sich damit abfinden, dass ich in ihrem Urlaub dabei war. Ich schrieb auf Gotland an einem sandigen, mit Kiefern bestandenen Strand in einem Zelt und bekam Rückenschmerzen. Die Tante, bei der wir gemietet hatten, wohnte weiter weg in Richtung Strandwald, und sie hatte einen Dackel, der im Morgengrauen Kaninchen totbiss und sie jeden Tag vor dem Haus verteilte. Es war eine blutige und erbärmliche Angelegenheit, und manchmal vergaß er eine Leiche, die in der Sommerhitze bald zu riechen begann. Wenn Lillemors Schnauzer herauskam, schlugen sie sich um die Kaninchenkadaver.
Am Uferrand lagen schwarze Ölklumpen. Sie bildeten an unseren Füßen einen braunschwarzen Belag, der sich nur schwer entfernen ließ und auf Strümpfen und Handtüchern Flecken hinterließ. Wir glaubten, das sei nur vorübergehend. Manchmal war es neblig, und dann hörte man die Nebelhörner muhen und konnte ahnen, dass da draußen ein Ozeanriese vorbeifuhr. Es war wie in Gunnar Ekelöfs Eine Welt ist jeder Mensch , und ich dachte an das unsichtbare Schiff und wurde, genau wie es in dem Gedicht steht, von einer seltsamen Unruhe gepackt. An das Öl dachte ich dabei nicht. Es beunruhigte mich auch nicht sonderlich.
Wir waren zur selben Zeit in einer Pension im Norden Ölands, als dort ein Pyromane sein Unwesen trieb, und ich hatte nicht übel Lust, unsere Geschichte beiseitezulegen und stattdessen über Brände zu schreiben. Lillemor meinte jedoch, das sei zu nah an der Wirklichkeit. Die wollte sie nicht mit unserem Schreiben vermischen. Roffe suchte recht bald das Weite, er konnte mich nicht mehr ertragen und musste sich wohl auch um seine Weibergeschichten kümmern. Warum Lillemor mich dabeihaben musste, wenn sie schrieb, war ihm immer ein Rätsel, aber es interessierte ihn nicht weiter. Er glaubte, ich sei von uns beiden die Tipperin und hätte, so wie damals, als wir mit Fruchtgummimäusen Fünf-in-eine-Reihe spielten, einen beruhigenden Einfluss auf Lillemor.
Als wir allein waren, aßen wir in der Pension zu Abend und tranken hinterher Kaffee im Gesellschaftsraum, zusammen mit zierlichen älteren Herren, schweratmigen Damen und einem deplatzierten Komponisten, der an Tbc litt. Das gab es immer noch. Er war nicht dabei, als Lillemor neben einem der Herren saß, der sogar in den Ohren weiße Haare hatte und Kaffee auf die Untertasse verschüttete, weil seine Hände zitterten.
»Das haben wir gleich«, sagte Lillemor, nahm das Svenska Dagbladet , blätterte darin, riss rasch ein Stück heraus und legte es ihm zwischen Tasse und Untertasse.
»Aber es ist doch schade, die Zeitung zu zerreißen«, sagte der alte Herr.
»Ich reiße ja nur Todesanzeigen heraus«, erwiderte Lillemor munter, und ich erinnere mich an den versonnenen Blick, mit dem der alte Mann sie ansah.
Seltsamerweise fiel mir in dem Moment ein, dass sie ein Bild von Brigitte Bardot in der Brieftasche aufbewahrte. Das hatte ich mal kurz gesehen, als sie bei ICA-Essge in Hallstavik bezahlte. Dass sie es aufgehoben hatte, war eigenartig, und sie gab mir keine Erklärung. Wahrscheinlich hätte ich es vergessen, wenn ich nicht eine der Figuren in unserem zweiten Roman der Bardot nachgebildet hätte. Es war ein bösartiges Porträt mit sehr spitzem Busen und schwulstigen Lippen. Jetzt musste ich daran denken, was für ein trauriges Film-Pin-up sie war, von einem Leben im Blitzlichtgewitter kaputtgemacht. Sie hatte eine Menge Schlaftabletten geschluckt und wäre dabei fast draufgegangen.
Lillemor erzählte damals oft von ihrem Onkel, einem trockenen Alkoholiker, aber auch der Hoffnung der Familie, oder zumindest Astrid Trojs, auf sozialen Aufstieg,
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