Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
stärker als Freundschaft, und jetzt riss sie daran. Obwohl ich Familie Trojs Türklingel diese Augustinmelodie mit ihrem alles ist hin, alles ist hin hatte bimmeln hören, war ich eher wütend und entschlossen als entmutigt. Mich würde sie nicht überlisten. Dazu taugte sie nicht.
Als Lillemor im frühen Morgengrauen erwacht,
liegen die Manuskriptseiten auf der Bettdecke und vor dem Bett verstreut. Es ist unfassbar, dass sie über der Lektüre hat einschlafen können. Doch Hypnos ist ein Gott, der sich anschleicht, was man von Thanatos nicht erhoffen kann.
Während sie die Seiten aufsammelt und in die richtige Reihenfolge bringt, denkt sie: Das ist nicht mein Leben, das ist ein Roman. Babba hat durch Erzählen eine literarische Figur geschaffen, ebenso wie Serenus Zeitblom im Doktor Faustus Adrian Leverkühn durch Erzählen geschaffen hat. Doch hinter »Babba« steht eine Babba, die ich nicht kenne, ebenso wie hinter Zeitblom ein Thomas Mann stand, der dem pedantischen Humanisten eine Stimme gegeben hat. Dann wundert sie sich über die merkwürdige Assoziation, die ihr gekommen war: Die einzige Ähnlichkeit zwischen Leverkühn und mir besteht darin, dass auch ich in der Morgendämmerung der Geschichte eine Geschlechtskrankheit hatte. Mich hat sie aber nicht wahnsinnig gemacht, denkt sie tapfer.
Am Ende hilft nichts gegen die Einsicht: Der Pakt des Tonsetzers Leverkühn mit dem Teufel ist die Verkuppelung. Da überlässt sie die paperasse ihrem Schicksal, schlüpft in ihre rosarote Wolkenhülle, geht auf die Toilette und dann in die Küche, um ihre flüchtende Vernunft wieder einzufangen. Während sie Kaffee in die Maschine abmisst, beschließt sie, diese Barbro Andersson jetzt zu entdämonisieren. Die ist viel zu gewöhnlich, um zu einem Teufel zu taugen. Doch sogleich fällt Lillemor ein, wie banal das Böse immer ist. Seine kleine Schwester, Tante und Cousine ist stets die Boshaftigkeit. Es erhebt sich die Frage, ob sie nicht auch seine Mutter ist. Sie lebt auf jedem Schulhof und jeder Stehparty ein Leben. Sie amüsiert sich, fühlt sich wohl. Sie grunzt in der Hölle.
Lillemor versucht sich an den kindlichen Körper zu erinnern, der am Ufer des Ångermanälven herumhüpfte. Aber sie weiß nicht, was sie sieht, wenn sie sich den mit schwarzem Lehm beschmierten kleinen Teufel ins Gedächtnis ruft. Ist diese Erinnerung echt, oder ist es die Erinnerung an das, was sie gestern gelesen hat?
Da wird es richtig hässlich. Wird meine Erinnerung nun gegen Szenen aus diesem Papierhaufen ausgetauscht? Hat Geschriebenes die Macht, sie auszulöschen? Habe ich selbst bereits damit begonnen, sie auszulöschen, als ich Babba von meinem Leben erzählte? Weiß der Himmel, was alles. Fast alles, glaube ich. Dabei habe ich Erinnerungen erdichtet, und die ursprünglichen Bilder verschwanden, als wären sie auf einer alten Fotografie verblasst. Und Babba hat weitergedichtet.
Ist alles, was wir weitergeben, ein Handel mit einem diabolischen Empfänger? Wir verkaufen all unser Eigen, und was bekommen wir dafür? Mitleid, vielleicht geheuchelt, vielleicht schon morgen vergessen. Interesse, auch das bald vergessen. Bewunderung, bitter vom Neid, der bald dominieren wird, was wir so appetitlich dargeboten haben.
Wo gibt es ein Erzählen, das kein Handel ist? Wo gibt es einen Empfänger, der mich und das Meine aufnimmt, ohne es zu verdrehen?
Gott. Ja, Gott.
Wenn man liebt?
Ja, denn das kommt ja von Gott. Aber ich habe wohl nie einen Menschen so geliebt, dass es kein Handel war. Sune habe ich mein Vertrauen geschenkt. Aber nicht ganz. Über Babba und unseren Pakt habe ich geschwiegen. Das seine hat er mir in einer fahlen Nacht der Wahrheit geschenkt. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis ich erkannt habe, was er nicht erzählt hatte.
Wir haben einen Handel betrieben. Freundlich, vertrauensvoll und falsch.
Zerstörung und Schwein
Der zweite Mai war ein Mittwoch, und ich wollte am nächsten Tag nach Hause fahren. Am Nachmittag ging ich in die Bibliothek von Kramfors, nur um zu sehen, ob noch alles beim Alten war. Im Zeitschriftenregal lagen einige Nummern von Folket i Bild Kulturfront , und ich brauchte sie gar nicht in die Hand zu nehmen, um zu wissen, wo Lillemor war. Ich sah durch das Papier hindurch, hörte ihre Stimme, bitter und piepsig, wie sie erzählte, sie hätten sich geweigert, ihre Schilderungen über die Waldweiberkommune ins Blatt zu nehmen.
Schilderungen. Es handelte sich also nicht um Beiträge zu einer Debatte. Sie
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