Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
Futterkübel auf eine große Schubkarre. Den Transport erledigten die Waldweiber und ich, Ante behielt die Straße im Auge. Als wir zurückkamen, um noch mehr Stroh zu holen, war auch der Konkursverwalter eingetroffen und stelzte im Lehm herum. Man fragt sich schon, wie viel Spaß so jemand im Leben hat.
Was ist der Unterschied
zwischen dem Füttern einer Ratte und dem einer Amsel? Lillemor kann ihn sich nicht erklären, erinnert sich aber in aller Schärfe. Sie ekelte sich nicht, als der Mann in der Hocke herumhüpfte und der Amsel die Hand entgegenstreckte. Aber sie musste unweigerlich an die Ratte denken, wusste sie doch sehr wohl, dass die im Gebüsch oder in irgendeinem Loch im Rasen saß oder – Schreck, lass nach! – durch die Terrassentür ins Haus hatte wischen können.
Die hüpfende Gestalt mit den Kekskrümeln auf der Hand war der nette, redliche und obendrein gut aussehende Sune, der Rektor der Heimvolkshochschule. Einmal hatte er sie aufgefordert, ihre Hand in seine Hosentasche zu stecken, und sie hatte an einen plumpen Annäherungsversuch gedacht. Er hatte aber nur ein junges Eichhörnchen in der Tasche. Es war weich, biss sie jedoch in die Zeigefingerspitze.
Die Schülerinnen fütterten eine große Ratte, die einen kahlen Rücken und einen nackten Schwanz hatte. Sie gaben ihr Rührkuchenscheiben. Nachmittags roch es auf dem Flur des Schülerinnenheims immer nach frisch gebackenem Rührkuchen. Es waren erwachsene Frauen, sie lebten ihr Leben, hatten abgetrieben, lasen Illustrierte. Aus ihren Transistorradios kam eine Musik, die Lillemor schwer auf die Nerven ging. Genauso wie die Ratte. Wenn die in der Abenddämmerung ankam und nach Rührkuchen schnupperte, bleckte sie zwei gelbe Schneidezähne. Dann dachte Lillemor an die Amsel. Die so süß war. Aber das machte die Sache nur schlimmer.
Sie hätte Jeppe gern auf die Ratte losgelassen, wagte es aber nicht. Er hätte ja gebissen und vergiftet werden können. Wenn sie bei schönem Wetter eine Freistunde hatte, setzte sie sich mit ihrem Kaffeebecher an den Steintisch. Das muss ein alter Mühlstein gewesen sein. Sie erinnert sich an die groben Rillen in dem Stein. Jeppe lag wie hingekippt in der Maisonne. Obwohl fast alle Unterricht hatten, dudelte ein Radio, die Terrassentüren standen offen, und Lillemor hatte freie Sicht in das Zimmer des Mädchens, das von einer Kreuzotter gebissen worden war. Wollte die nicht Zahnarzthelferin werden? In Lillemors Erinnerung liegt sie da, das ausgestreckte Bein auf einem Hocker. Es ist dick wie ein Baumstamm und blauschwarz geschwollen.
Solbacken war eine Provinzialschule. Hierher kamen junge Leute, die in ein paar Jahren der Gesellschaft als Polizisten und Krankenschwestern dienen sollten. Der Rasen war noch nicht grün, er war graubraun. Anders als in den Broschüren der Schule sah man den blauen Fluss nicht. Die Häuser standen im Karree und waren graugelb. Das Essen wurde unter der Aufsicht einer ausgebildeten Wirtschafterin zubereitet. Es gab eine Bezirkskrankenschwester, die kam, sobald etwas passiert war: ein epileptischer Anfall, eine Sturzblutung oder ein Kreuzotterbiss. Die samstäglichen Feste hießen geselliges Beisammensein, aber es fanden sich nicht mehr viele dort ein. Viele Schülerinnen und Schüler fuhren im eigenen Auto in die Stadt und gaben sich Vergnügungen hin, nach denen sie in Kramfors oder Härnösand den Arzt aufsuchen mussten. Der Rektor und etliche Lehrkräfte hielten einen zähen Idealismus aufrecht.
Womöglich ist das Leben so, denkt Lillemor. Idealismus gegen Sturzblutungen. Eine Art Grenze bewachen. Grenze zu was bloß?
Sie erinnert sich sehr gut an ihre Wohnung im Giebel des Schülerinnenheims. Dort war sie tief einbezogen in die Welt der jungen Frauen, in der es nach Rührkuchen und Haarspray roch. Sie ekelte sich zunehmend. In ihrem Gemüt hatten Ratten und Kreuzottern die Herrschaft übernommen.
Jetzt ist sie bei dem Nachmittag, als die Kekskrümel aufgepickt waren, der Rektor sich erhob, ihr zuwinkte und davoneilte, um seines Amtes zu walten. Er trug einen karierten Pullunder. Sein Auftritt hatte ihr gegolten, das wusste sie.
Einen Moment lang war es fast still. Bis auf das Radio im Schülerinnenheim natürlich. Sie hätte eigentlich noch eine Stunde in mündlicher Darstellung vorbereiten müssen. Doch sie konnte sich nicht entschließen, an der offenen Terrassentür vorbeizugehen und die weiblichen Gerüche aus dem Heim einzuatmen. Sie dachte an die Zeit, als sie noch
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