Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
Bengel in den Fluss, um den Vogel oder was es war, zu holen.«
»Was lest ihr bloß für Bücher?«, fragte Sune.
»Nobelpreisträger«, sagte ich. »Wir haben Die Thibaults schon in Jugendjahren gelesen.«
Von mir aus konnte er ruhig erfahren, dass wir einander schon lange kannten, ja er sollte es sich ein für alle Mal merken. Lillemor wäre gern mit ihm nach Tansania gegangen, traute sich in der Schule aber nicht zu kündigen oder sich auch nur beurlauben zu lassen, um ihren Job nicht zu verlieren. Außerdem war da noch Jeppe.
Um ihn hätte ja ich mich kümmern können, aber ich bot es ihr nicht an, sondern sagte: »Dieses ganze verdammte Afrika war wie eine große, sanfte Finsternis, wo man samtweiche Neger fickte und folgenlos erschoss.«
Lillemor kicherte.
Sune setzte sich auf. »Jetzt geht ihr zu weit«, sagte er. »Aus euch beiden werde ich nicht schlau.«
Nein, wahrhaftig nicht. Meine Lillemor war nämlich eine andere als seine. Und jetzt würde sie den Rest des Sommers meine sein, denn er hatte sich bereits gegen die samtige Finsternis Afrikas impfen lassen.
Sengende Glut durch die Adern? Konnte mich an diesen Zustand nicht mal mehr erinnern. Lillemor dagegen war munter geworden. Sie hatte mit Sune zusammen Rachel Carsons Der stumme Frühling gelesen. Nachdem die Neger ausgelernt hatten und er aus Tansania zurückgekehrt war. Daraufhin wurde beschlossen, dass es an der Schule Projekttage zum Thema Umweltverschmutzung geben sollte. Man benutzte jetzt das Wort Umwelt und ersetzte damit das Wort Natur, ebenso wie man jetzt Leute durch Menschen ersetzte. Für mich bedeutete Umwelt in erster Linie meine unmittelbare Umgebung, die Menschen um mich herum, mein Milieu. Und bei Milieu musste ich an Sofas denken, aber auch an Bakterien. Das war wohl nötig. Worte werden eingesessen wie Sofas in sitzfreundlicher Umgebung und unbrauchbar wie Spüllappen voller Bakterien. Ein saures Milieu ist gar nicht so verkehrt, weder für Spüllappen noch für Literatur. Lillemor war also entbrannt und ließ in jeden Satz das Wort Umweltverschmutzung einfließen. Sune, der Umsichtige, glaubte wahrscheinlich, durch diese Anpassung an die Trends der Zeit in der Schule den Ansturm von links aufhalten zu können. Mäusebussarde wurden mit Bioziden vergiftet, Volkshochschulen mit Politik.
Dass ich einen Roman über Mäusebussarde schreiben würde, war allerdings ausgeschlossen. Außerdem ging mir dieser missionarische Jargon auf den Wecker. Ich sah jedes Mal meinen Vater, meine Mutter und Onkel Emil vor mir, wenn der Westen der Umweltverschmutzung beschuldigt wurde. Meine Güte, sicherlich hatten wir Phosphate in die Seen gekippt und die Luft verpestet, und wir hatten Müll aufgehäuft, die Otter getötet und dem Lachs die Beulenpest gebracht. Das wussten wir.
Doch was machte mein Vater eigentlich verkehrt? Er kaufte einen Volvo PV444 und fuhr zu den birkenumsäuselten Maiglöckchenstellen und verlassenen Katen und Wiesenhügeln (die mittlerweile verwachsen waren), wohin meine Mutter und er mit dem Fahrrad Tage gebraucht hatten. Die Hügel in Ångermanland sind die einzigen, die sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg bergauf führen. Ein stockfleckiges Zelt auf dem Gepäckträger und drei Tage Urlaub plus das Mittsommerwochenende, Primuskocher und Turnschuhe. Der PV schaffte das alles an einem Sonntagnachmittag.
Und meine Mutter, die jeden Sprachkurs zur Veredelung der Arbeiter seit den Tagen des Esperanto besucht hatte, sollte sie nicht vor Ort muchas gracias sagen dürfen? Dort wurde das Abwasser des Hotels direkt in die Badebuchten abgelassen, wenn auch die Kackwürste nicht sofort an die Oberfläche ploppten. Es dauerte zehn Jahre, bis das Wasser trüb wurde, doch dann hätten meine Mutter oder zumindest mein Vater es eigentlich begreifen müssen. Aber wie? Es war vermutlich nicht schwierig, sich davon zu überzeugen, dass die Welt außerhalb Schwedens ein einziger großer erzkapitalistischer Arsch war, aber dass das Dreckloch in Schweden selbst immer größer wurde oder zumindest immer mehr von sich gab, das war dann doch ein bisschen zu stark, als dass man es hätte glauben wollen.
Sie waren ja auch keine Intellektuellen, hatten vierzig Jahre lang nur Bücher aus der Leihbücherei gelesen und sich nicht um den Rasen gekümmert. Dass der vermoost war, hielten wir für Vaters Schuld, schließlich hatten wir keine Ahnung von Versauerung. Und doch war es auch seine Schuld, da er an Selbstdüngung glaubte und nie das
Weitere Kostenlose Bücher