Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
gemäßigtem Linksliberalismus. Kein Kibbuz mit Apfelsinenanbau, kein chinesisches Dorf mit haufenweise schlappen Kohlpflanzen.
Babba ist zutiefst und hoffnungslos provinziell. Ihre Arbeitermutter hat dank der Reiseorganisation der Arbeiterbewegung mehr von der Welt gesehen als sie. Das Einzige, wovon Babba etwas weiß, ist unsere alte Kultur. Aber auch die ist mit Ausnahme von Swedenborg und Linné provinziell. Und hätte sie sich ohne mich überhaupt je um Linné gekümmert, denkt Lillemor.
Ist Überheblichkeit im Übrigen nicht ebenfalls ein provinzielles Charakteristikum?
Kultur Wort
Ich saß in einem bazillenfeindlichen sauren Milieu fest, als Lillemor und Sune umweltbewusst wurden. Die Weltverbesserungskleinkünstler erbosten mich, mochten ihre Ziele (in manchen Fällen politisch dubiose) auch noch so löblich sein, es nützte nichts. Heraus kam immer nur, dass sie sich selbst in einen Sternstatus hineinredeten, während ihr politischer Einfluss minimal blieb. Das Publikum saß der großartigen und herzerhebenden Unterhaltung wegen da und um eine Person mit Charisma und Ruhm bewundern zu können.
Lillemor meinte nun, für unser letztes Buch ihren Teil beitragen zu müssen, und sie erhielt die Erlaubnis, ihre Stunden in der Schule umzulegen, sodass sie mit EINE KULTOUR MIT DEM KULTURBUS durch die Lande machen konnte. Vier Regionalautoren plus Lillemor und zwei Kulturbürokraten in Cordhosen waren daran beteiligt. Dann war noch ein Barde dabei, der sang Lieder von Dan Andersson und wurde gemocht. Die Autoren lasen in Dorfgemeinschaftszentren und Vereinshäusern, und nach dem ersten Auftritt schrieben die Lokalzeitungen darüber einzig und allein, dass in Lillemors Text das Wort Möse stand. In dem Zusammenhang, in dem es vorkam, war es natürlich und relevant, aber das nützte nichts. Västernorrlands Allehanda schäumte, hatte aber Mühe, diese Schändlichkeit auszumalen, ohne das Wort zu nennen.
Lillemor rief mich an und sagte, sie wolle bei der nächsten Lesung die Möse weglassen, aber das lehnte ich ab. Es war eigentlich dumm von mir, denn ich hätte wissen müssen, dass im Publikum alle die Zeitungen gelesen hatten und jetzt nur auf dieses eine Wort warteten und gar nicht mitbekamen, worauf die Geschichte hinauslief.
Nach den Lesungen gab es selbstverständlich Kaffee und Rührkuchen. Dabei sollten die Probleme der jeweiligen Ortschaften aufgegriffen werden. Meistens war es dann still. Bei einer dieser Zusammenkünfte war ich dabei, es war die letzte, und sie fand in Vilhelmina statt. Ich fuhr mit dem Auto hin, um Lillemor abzuholen, die keine Zeit hatte, zur Kritik und Selbstkritik bei Sandwichtorte nach Örnsköldsvik zu fahren. Sie musste rechtzeitig zur Zeugniskonferenz vor Weihnachten zu Hause sein.
Am besten erinnere ich mich an die letzten Meilen, den schwarzweißen Fichtenwald mit schneebeladenen Ästen und den endlosen Sternenhimmel darüber. Ich dachte an Orpheus, er hätte mit Eurydike im Gefolge zwischen den hohen Fichten durch diese Todeslandschaft gehen können. Fast am Ziel angekommen, sah ich zwei Frauen mit Tretschlitten zum Vereinshaus fahren. Ich fürchtete, sie würden schlimmstenfalls das gesamte Publikum stellen, aber als ich in die Ofenwärme kam, war der Saal voll besetzt, seltsamerweise vor allem mit Männern. Das war sonst nie so.
Lillemor las sehr gut, es war erstaunlich, wie der Text mit ihr eins war. Hinterher enterten alle männlichen Zuhörer die Bühne. Es stellte sich heraus, dass sie den Männerchor von Vilhelmina bildeten.
Wieder zu Hause, hatte Lillemor vor den Weihnachtsferien ein paar hektische Schultage. Danach kam sie zu uns und brachte Sunes Küchenmaschine mit, und wir machten Schweinswurst. Ich fand das ebenso unnötig wie diese Kulturbustour und sagte zu ihr, sie hätte nicht so herumzufahren brauchen. Sie habe aber dieses letzte Mal ihren Teil beitragen wollen, sagte sie (leise, damit Ante es nicht hörte). In ihren Augen waren Auftritte und Interviews wichtige Dinge, und damit hatte sie ja im Prinzip recht. Aber in Bjästa und Vilhelmina? Ich traute mich nicht mehr, darüber zu reden. Denn wie sollte ich so nackt, wie es war, sagen: Du brauchst doch nur da zu sein.
Dieser Meinung war sie nicht. Sie wollte selbst schreiben. Im Januar legte sie mir ihr Werk vor. Sie hatte mit einer Frauengruppe zusammengearbeitet, die ihre Wurzeln im KFML hatte, der nichtrevolutionären Gruppierung der marxistisch-leninistischen Kommunisten, und im Provinzialtheater.
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