Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
Kattis: »Was machst du?«
Lillemor war unsicher, ob sie den Film kommentierte, wo ein offenbar seniler und boshafter Alter in der Ecke einer Küche Ungemach bereitete, oder ob die Frage an sie gerichtet war.
»Was arbeitest du?«, wiederholte Kattis, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden.
»Ich bin Schriftstellerin«, sagte Lillemor und dachte, wie absurd diese Antwort in jeder Hinsicht war.
Dieser Meinung war offensichtlich auch Kattis, denn sie schüttelte nun ihre fast trockene Mähne und fragte: »Wie, Schriftstellerin? Schreibst du Bücher und so?«
»Ja«, antwortete Lillemor.
»Was für Bücher?«
Doch hier verlief die Grenze dessen, worauf sie eine Antwort formulieren konnte, darum stand sie auf und sagte: »Ich geh mal nachsehen, ob es sonst noch jemanden gibt, der mir das Zimmer zeigen kann.«
»Mein Gott, was bist du giftig«, sagte Kattis. »Ich kann’s dir doch zeigen, wenn du willst.«
So ging das während ihres Besuchs auf Ramsö weiter. Zu spät begriff sie, dass Kattis nicht feindselig war, ja sie war nicht mal unfreundlich zu nennen. Ihr Verhalten war für dieses Milieu völlig normal. Sie war einfach nur der Auffassung, Lillemor könne sich den Film anschauen und währenddessen ein bisschen von sich erzählen. Zupackend war sie nicht, das war auf Ramsö niemand. Sie kannten keine Eile, und draußen hatten die meisten eine Zigarette im Mundwinkel oder zwischen den Fingern.
Die praktische Arbeit auf dem Hof verrichteten nicht Gumpan und die Angestellten. Das machten die Internen, die Klienten, die Schüler oder wie immer man sie nennen wollte. Hier wurden sie Jungs genannt, obwohl auch zwei Mädchen darunter waren. Die Jungs (und die zwei mitgemeinten Mädchen) machten die Betten, putzten, kochten, buken, fütterten die Schweine und Pferde und mähten den Rasen. Gumpan gab Anweisungen und sah mit gleichbleibend gelangweilter Miene zu. Die Arbeit der Angestellten fand auf Sofas oder in völlig durchgesessenen Sesseln statt. Dort führten sie Gespräche mit den Jungs und den Mädchen. Manchmal führte Gumpan Gespräche mit dem Personal, dann wurde die Tür zugemacht. Es waren immer sehr lange Besprechungen, und öffnete man zufällig die Tür, sah man die Leute sich auf dem Sofa lümmeln. Gumpan lehnte sich aus dem Fenster und rauchte. Im Haus herrschte Rauchverbot.
»Mein Gott, was hast du es eilig«, sagten sie, als Lillemor mit dem ihr zugeteilten Staubsauger umherflitzte. Diese Schlaffheit ging ihr auf die Nerven. Ihr schwante allmählich, dass zupackendes Handeln hier als bürgerlich und neurotisch galt. In der Ramsökommune bewegten sich alle, als wandelten sie unter Wasser.
Aus Tompa bekam sie kein einziges Wort heraus. Er verdrückte sich, als er sie sah. Sie legte Wäsche zusammen, schälte kiloweise Möhren, wischte den Fußboden im Duschraum und goss aus eigenem Antrieb die Geranien, die ebenso schlaff wirkten wie das problemlösende Personal auf dem Sofa.
Zum Schlafen bekam sie ein Giebelzimmer auf dem Dachboden. Allerdings konnte von Schlafen kaum die Rede sein, denn sie grübelte darüber nach, was sie tun sollte, wenn sie mal müsste. Sie traute sich nicht, durch den dunklen Dachboden zu gehen, um zur Toilette zu gelangen. Der Schalter für die Dachbodenlampe saß am Fuß der Treppe. Sie verspürte zwei Arten von Angst. Zum einen die alte, gewöhnliche, wenn knackende oder murmelnde Geräusche aus dem Dunkel es überaus wahrscheinlich machten, dass jenseits unserer Illusionen über die Wirklichkeit noch manch anderes existierte. Die Kulissen oder Gobelins oder wie man die Vorstellungen nennen sollte, die bei Tag ganz natürlich wirkten, konnten in der Dunkelheit und Einsamkeit eines nicht mehr verbergen: Ein Mensch ist in einem unfassbar murmelnden und knackenden und potenziell lebensgefährlichen Universum allein. Böse Gesichter flimmern vorüber, wenn er zwischen Schlafen und Wachen schwebt.
Das war die existenzielle Angst vor der Dunkelheit. Die andere war die soziale. Sie dachte an die großen und muskulösen Jungs da unten. Sie hatte gedacht, Junkies würden abnehmen und mager wirken. Aber die hier hatten sich wohl mit Möhren, Schweinefleisch, Margarine und Pferdesteaks herausfuttern können. Sie hatte zufällig ein paar Sätze aufgeschnappt, als sie den Staubsauger ausgeschaltet hatte und das Personal lauter sprach. Es ging um eines der beiden Mädchen. Lillemor wollte nicht darüber nachdenken, was nach Meinung der Betreuer dem Mädchen bei den Jungs in der
Weitere Kostenlose Bücher