Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
er.
Ich lag in dem alten Bett aus geflammter Birke von Antes Großeltern, das man der Länge nach ausziehen konnte. Es hatte einen Giebel, so hoch und verziert wie ein Grabmonument. Lillemor holte sich einen Stuhl aus dem großelterlichen Bestand entlang den Wänden und setzte sich ein Stück von mir entfernt.
»Heim?«, sagte ich. »Ich, gefahren?«
Ante lachte wieder schallend.
»Mutter hat mitten in der Nacht angerufen«, sagte Lillemor. »Sie sagte, dass du voll bist und Auto fahren willst.«
»Lüge.«
»Du hast immerhin auf dem Fahrersitz gesessen. Oder besser gelegen. Du hättest wegen Trunkenheit am Steuer drankommen können, denn sie wollte eigentlich die Polizei rufen, hat es aber nicht getan.«
»Brav.«
Dann gelang es mir, mehrere Wörter aneinanderzureihen: »Brave alte Astrid. Menschenfreundin.«
»Es war nicht leicht, dich auf den Rücksitz zu verfrachten«, sagte Lillemor, und Ante warf ein, es sei wohl so gewesen, als verrückte man ein Klavier.
Dann sagte er, dass er los müsse. »Wir wollten doch Kartoffeln ernten. Hast du das vergessen?«
Ich erinnerte mich weder an Kartoffeln noch an sonst was. Aber die Erinnerung würde bestimmt zurückkommen. Ich sah die Fotografien von Antes Großmutter und Großvater, vergrößert und in Goldrahmen. Dachte an das Tuch des Lebens. Wie hatte ich in diesem Zimmer mit Bildern eines ahnenstolzen Bauernstandes landen können?
Wahrheiten und Schaumbananen
Lillemor und ich wohnten beide in der Nähe von Kramfors, das jetzt Pulvercity genannt wurde, und Tompa sollte dort die Sekundarstufe I besuchen. Damals war Drogenkonsum ein Zeichen von Revolte, und die Rebellen ließen sich die Haare wachsen, kleideten sich in Lumpen und setzten sich auf die Gehsteige. Wenn heutzutage ein viel größerer Anteil der Bevölkerung Drogen konsumiert, geschieht es diskreter. Tompa ließ sich ein Hakenkreuz auf den Unterarm tätowieren.
Nachdem er diese Schulstufe geschafft hatte, weigerte er sich, aufs Gymnasium zu gehen, und bekam einen Termin bei einer Berufsberaterin, die es für gesund hielt, gegen einen bürgerlichen Hintergrund zu rebellieren, und ihm vorschlug, Autolackierer zu werden. Vermutlich hatte er sie manipuliert, denn auf diese Weise kam er ja nun als Lehrling in das lösungsmitteldunstige Paradies, das seine Kindheitserinnerungen für alle Zeiten auslöschte. Er blieb nicht lange dort; der Werkmeister war ein harter alter Knochen, der die Schlimmsten rausschmiss, egal, was die Sozialtanten sagten. So wurde der Sohn des Rektors freier Unternehmer, und es dauerte nicht lange, bis jemand aus dem Polizeipräsidium in Härnösand anrief und mitteilte, man habe ihn wegen bewaffneten Raubüberfalls festgenommen. Dabei handelte es sich um ein Missverständnis, denn in Wirklichkeit war der Tankstellenpächter die Einbrüche allmählich leid und hatte sich bewaffnet. Er stellte die beiden Jüngelchen eines Morgens um drei und hielt seine Schrotflinte auf sie gerichtet, bis die Polizei eintraf.
Sune war gerade in Stockholm, also stürmte Lillemor nach Härnösand, durfte Tompa aber nicht sehen, weil sie nicht seine Mutter war. Stattdessen durfte sie zwei Schachteln Zigaretten für ihn holen. Er wurde inhaftiert, erhielt aber von dem Anwalt, den Sune besorgte, den Rat, einen Strafbefehl zu akzeptieren, wobei es sich natürlich um Fürsorge handelte, denn jetzt war ganz Sozialkramfors auf den Beinen, um den Sohn des Rektors zu retten.
Er wurde zu einer Kate in Hoting geschickt und bei einem jungen Paar untergebracht, das Ziegen hielt und ein ursprüngliches Leben führen wollte, aber nicht über die Runden kam. Deshalb nahm das Paar Kostgänger seines Schlags auf, und sie waren nicht die Einzigen. Eine ganze Betreuungskleinindustrie war erblüht. Es handelte sich um rechtschaffene Menschen, die sich Riedgras in die Stiefel stopften und mit Fettkraut Milch einzudicken versuchten, immerhin aber Telefon hatten. Als die erste Telefonrechnung kam, riefen sie im Sekretariat des Rektors an und sagten, sie seien ruiniert, wenn Sune die Rechnung nicht bezahlte. Er hatte sie gewarnt, Tomas mit dem Telefon allein zu lassen, da er mit seinen Kumpels aus Pulvercity gern stundenlange Jointgespräche führte. Von den Kumpels waren die meisten nach Stockholm abgehauen, unternahmen aber auch Einkaufstouren nach Amsterdam. Die Gespräche konnten also teuer werden.
Tompa hatte für dieses naturnähere Leben neue Kleidung und Bettwäsche bekommen. Von der Ausstattungsliste des
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