Schwingen des Vergessens
ruhig, die Mutter schien tief in Gedanken versunken zu sein, auf jeden Fall reagierte sie nicht auf Amelies auffordernde Blicke. Nachdem der Minutenzeiger der Uhr bereits die Hälfte seines ganzen Weges zurückgelegt hatte, hielt das Mädchen es nicht mehr aus.
„Warum bist du so ruhig?“
„Ich weiß nicht, es ist irgendwie komisch, dass du gerade jetzt damit heraus rückst. Ich meine, genau an dem Jahrtag, wo du weißt schon was war.“ Karoline kniff fest die Lippen zusammen und stützte ihren Kopf in Gedanken versunken auf die Hände.
„Du kannst es aussprechen, ich bin ja kein Monster. Genau, vor vier Jahren hab ich meine Erinnerungen verloren, na und? Was ist daran komisch? War irgendwie doch logisch, dass ich mir nach einiger Zeit Gedanken an mein früheres Leben mache. Kannst du das nicht verstehen?“ Es tat Amelie im Herz weh, dass ihre Mutter so reagierte, als wäre sie traurig, dass sie es nun herausgefunden hatte. Aber was war eigentlich „es“? Wenn es das war, dass ihre Eltern tot waren, dann… Nein, es konnte schließlich nicht wahr sein. Sie sah Caro so ähnlich, sie hatte sich zwar die Haare gefärbt und ihre Augen waren weitaus größer, aber die Statur der zwei sah beinahe gleich aus. Auch ihre beiden Gesichter ähnelten sich bis auf ein paar Ungereimtheiten. Das völlige Gegenteil waren allerdings ihre Leben. Bei der Lebensweise gab es keine einzige Ähnlichkeit, vielleicht die Tatsache, dass sie zusammen in einem Haus wohnten. Mehr nicht.
„Ich verstehe das schon, ist ja klar. Ich fühle mich nur irgendwie unwohl“, meinte sie unsicher und seufzte leise. Danach folgte wieder eine lange Stille, wo Amelie schon dachte, dass sie auf die nächsten Worte erneut eine halbe Stunde warten müsste. Allerdings hatte sie sich getäuscht. „Aber natürlich bin ich deine Mutter. Du verbringst zu viel Zeit in deinem Zimmer, wärst du öfters hier bei mir wären wir uns auch viel ähnlicher, da bin ich mir sicher. Vielleicht kommst du ja, statt oben in deinem Zimmer zum völligen Gruftie zu werden, einfach am Abend herunter und wir schauen irgendeinen Film. Ist das machbar? Passt es in deinen Zeitplan?“ Amelie nickte zustimmend, auch wenn sie lieber mit Unknown gechattet oder ein neues Bild gezeichnet hätte. Sonst interessierten sie ihre sozialen Kontakte ja nicht wirklich, doch es musste sich etwas ändern in ihrem Leben, sie konnte nicht auf ewig depressiv leben und vor allem ging es da nicht um irgendwelche Freundinnen, sondern um ihre eigene Mutter. So sah sie das als Anfang.
„Okay, ich geh nur schnell nach oben und komme um viertel nach acht wieder her“, rief sie ihrer Mutter noch nach, bevor sie im Zimmer verschwand. Grübelnd sank sie an der Tür zu Boden. Es war mehr als nur komisch, dass Caro so abweisend reagiert hatte, als hätte Amelie eine wunde Stelle an ihr getroffen und die Wunde wieder aufgerissen. Kopfschüttelnd ließ sie sich vor dem Laptop nieder und prüfte ihre Nachrichten.
„2 neue Nachrichten von zwei Personen.“ Neugierig öffnete sie zuerst die erste, sie stammte von Unknown: „Okay, wenn du nicht willst, dass ich dich begrüße, lasse ich das eben sein. An meiner streberhaften Ausdrucksweise kann ich allerdings nichts ändern, ich rede so und es wird auch so bleiben. Außerdem werde ich ab sofort nur eine Nachricht schreiben, wenn du mir zuvor eine Antwort gegeben hast, versprochen. Natürlich bin ich nicht dein Kindermädchen, aber, ich meine…vergesse es einfach. Lassen wir dieses Thema. Wie geht es dir?“ Toll, dass er endlich mal ein normales Thema wählte. Eilig antwortete das Mädchen und öffnete dann die Nachricht von Lucy. Ihr Herz begann lauter zu pochen, unbegründete Angst machte sich in ihr breit, doch warum sollte sie Angst vor einer Schulkameradin haben? Am meisten wunderte sie sich allerdings darüber, dass Lucy ihren Namen hier herausgefunden hatte, wahrscheinlich würde sie einen neuen Account machen, wie sie es so oft tun musste. Ausmachen würde es ihr nichts, es stand nur die Frage, ob Unknown dann noch mit ihr schreiben wollte.
„Du weißt ja, wie sehr ich dich hasse und hast wahrscheinlich mittlerweile auch das hübsche Bild von dir gesehen. Wenn du die Kommentare noch nicht gelesen hast, kann ich dir sagen, was drin steht. Alle hassen dich!“ Mehr stand nicht drin, doch die letzten drei Worte hätten genauso gereicht. Traurig löschte sie die Nachricht und klappte den Laptop zu, sie brauchte Entspannung, die Amelie meist nur beim
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