Schwur der Sünderin
nächsten Tagen zum Grundherrn gebracht werden.«
»Beruhige dich! Das ist mein Vetter Gabriel, der zu Besuch ist. Ich bat ihn, sich die Wunden anzuschauen, da er von Beruf Bader ist. Du weißt, dass der Gefangene schwer verletzt ist, und vier Augen sehen mehr als zwei. Besonders, wenn das Licht so schwach ist«, stichelte Adam Fleischhauer. Als der Kerkermeister nicht auf seinen Spaß einging, wurde er ernst: »Ullein benötigt den Mann lebend. Gabriel ist erfahren und hat Tinkturen dabei, die helfen können.«
»Warum verabreichst du ihm die Mixtur nicht selbst?«, fragte der Wärter misstrauisch. Adam Fleischhauer streckte ihm die zitternden Hände entgegen und erklärte: »Darum!«
Der Kerkermeister riss laut lachend seinen Mund auf, sodass Gabriel die verfaulten Zahnstummel sehen konnte. Als er sich wieder beruhigt hatte, füllte er einen Holznapf mit Wasser und einen anderen mit pappigem Brei. Grienend streckte er Gabriel die gefüllten Holznäpfe entgegen. »Wenn dein Vetter sie nimmt, verschüttet er die Hälfte«, lästerte er und schloss die
Eisentür zum Verlies auf. »Passt auf, dass Ullein euch nicht erwischt«, sagte er und ging feixend die Treppe hinauf.
»Zum Glück sind wir allein«, sagte Fleischhauer und betrat die Zelle. Gabriel nahm eine Fackel aus der Halterung in der rußgeschwärzten Wand und folgte dem Mann in das dunkle Loch.
Schon als Gabriel die Treppenstufen zum Verlies hinabgestiegen war und die feuchte Kälte spüren konnte, hatte er sich geärgert, dass er für Veit keine wärmende Decke mitgenommen hatte. Aber dann wäre es offensichtlich gewesen, dass ein Freund hier gewesen war, beruhigte sich Gabriel.
Veit lag auf einem stinkenden Strohsack, von einer verschlissenen Decke notdürftig zugedeckt. Seine Augen waren geschlossen, und er gab keinen Ton von sich.
Der Bader kniete sich neben ihm nieder und beleuchtete mit der Fackel seinen Körper. Als der Lichtschein Veits Gesicht beschien, riss er die Augen auf und griff nach Gabriels Arm. »Lass mich in Ruhe«, brüllte Veit und bäumte sich auf.
»Ich bin es – Gabriel, Annabelles Vater«, versuchte der Bader Veit zu beruhigen, der sich keuchend zurücklegte.
Gabriel war über Veits Aussehen entsetzt. Schwarze Schatten umrahmten seine Augen, die tief in ihren Höhlen lagen. Seine Haare waren blutverkrustet, ebenso seine Kleidung, die zerrissen an seinem ausgezehrten Körper hing. Er verströmte einen bestialischen Gestank nach Blut, Fäkalien und Eiter, sodass Gabriel kaum durchatmen konnte. Wut stieg in ihm hoch, die er nur mit Mühe unterdrücken konnte.
»Anna Maria!«, flüsterte Veit und drehte suchend seinen Kopf von einer Seite zur anderen.
»Anna Maria ist nicht hier. Das wäre zu gefährlich gewesen. Aber ich bin gekommen, mein Freund. Ich werde mir deine Wunden ansehen und versuchen, dir zu helfen. Während ich dich untersuche, wird Adam dir Brei zu essen geben. Iss so viel
wie möglich, auch wenn er nicht schmeckt, denn du musst wieder zu Kräften kommen. Hast du gehört?«
Gabriel befürchtete, dass Veit ihn nicht verstand, da er ihn mit wirrem Blick in den Augen ansah.
Plötzlich lächelte Veit zaghaft. »Gabriel!«, flüsterte er. »Du bringst mich nach Hause zu Anna Maria.«
Gabriel blickte Veit traurig an. »Du musst gegen die Wirrnis in deinem Kopf ankämpfen, mein Freund. Gib dich den Schmerzen und deiner Lage nicht kampflos hin, sonst haben wir verloren. Hier, trink von dem Wasser und iss den Brei.«
Veit hatte Gabriels Worte anscheinend verstanden, denn er aß und trank. Währenddessen besah sich der Bader die Wunden. Die ausgebrannten Verletzungen schienen sauber zu sein, da sie verkrustet waren und nicht eiterten.
»Diese Wunde hättest du auch ausbrennen müssen«, sagte Gabriel vorwurfsvoll zu Fleischhauer und zeigte auf eine kleinere Stichwunde am Oberschenkel.
»Ich bin zufrieden, dass ich wenigstens die drei großen Wunden behandeln konnte«, verteidigte sich Adam. »Er hat geschrien und nach mir getreten. Es war unmöglich, ihn festzuhalten und weiterzubehandeln.«
Wortlos nahm Gabriel den Napf mit dem restlichen Wasser und zählte die Tropfen hinein, die Anna Maria ihm anvertraut hatte. Dann flüsterte er Veit zu: »Anna Maria lässt dir sagen, dass du diese Medizin austrinken musst. Keinen Tropfen davon darfst du verschmähen. Es wird dich schläfrig machen und dir den Schmerz nehmen. Hast du das verstanden, Veit?«
Veit nickte, doch bevor er trank, wisperte er: »Sag meiner
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