Schwur der Sünderin
Fenster seines Zimmers, in dem er sich eingemietet hatte, hinausblickte. Die Landschaft war mit einer dicken weißen Schicht überzogen, und Joß spürte die Kälte in seinen Knochen, die im Zimmer durch alle Ritzen drang.
»Noch zwei Tage bis Weihnachten und keine Nachricht von den Bettlern«, dachte er mürrisch. Der Druck durch den Herzog wuchs und erstickte jede gute Laune im Keim.
Als es an der Tür klopfte, rief Joß: »Komm herein, Kilian.« Doch es war ein fremder Mann, der die Tür öffnete.
Kleidung und Aussehen verrieten Joß, wer vor ihm stand. Ohne Umschweife sagte der Bettler: »Ich soll dir von dem Einäugigen ausrichten, dass wir mehrere hundert Mann werben konnten.«
»Wie viele genau?«
»Vierhundert.«
»Das sind zu wenig!«
»Im Winter verkriechen sich die Menschen«, erklärte der Bettler. »Im Frühjahr bei den Kirchweihfesten in den Dörfern wird es leichter sein, Menschen anzutreffen und zu werben.«
»Ich habe keine Zeit«, zischte Joß.
»Es nutzt nichts. Du musst dich gedulden. Unsere Leute versuchen ihr Möglichstes, doch bei der Kälte erfrieren wir, wenn wir über Land ziehen.«
Joß Fritz fuhr sich durch sein volles Haar und nickte. Er wusste, dass die Bettler, das fahrende Volk und alle anderen, die auf der Straße lebten, den Winter in abgelegenen Hütten, Häusern, Schobern oder Höhlen verbrachten. Er selbst hatte jedes Jahr einem
fahrenden Volk eine abgeschiedene Scheune in Mehlbach zur Verfügung gestellt, wo sie überwintern konnten.
»Richte dem Einäugigen aus, dass ich im Februar neue Zahlen – bessere Zahlen! – erwarte.«
Der Bettler nickte und streckte ihm seine Handfläche entgegen. Joß blickte dem Mann ins Gesicht, das voller Pusteln und Narben war. Wortlos gab er ihm eine Münze. Als der Mann den Wert der Münze erkannte, grinste er breit und verschwand.
Joß schloss die Zimmertür und drehte sich zum Fenster. Nachdenklich betrachtete er das Schneetreiben.
Kapitel 31
Der Kerkermeister schaute durch die kleine Türklappe in das Verlies. Der Gefangene lag notdürftig bekleidet und zitternd auf dem Lehmboden der Zelle, der mit feuchtem und stinkendem Stroh bedeckt war. In regelmäßigen Abständen stöhnte der Mann vor Schmerzen leise auf.
»Du wirst hier nicht lebend herauskommen«, prophezeite der Alte mitleidig, und er wusste, wovon er sprach. Seit er in der Abgeschiedenheit des Kerkers seinen Dienst verrichtete, hatten nur wenige Gefangene die Haft überlebt. »Wenn sie nicht an der Folter gestorben sind, hat sie die Kälte und die Feuchtigkeit des Gemäuers dahingerafft«, murmelte er.
Die Luft im Verlies war so eisig, dass der Atem des Alten als heller Dunst sichtbar wurde. Von den Wänden tropfte das Wasser, und die Steine waren mit grünem Schleim überzogen. Obwohl den Kerkerwärter Rheuma und eine hartnäckige Erkältung quälten, musste auch er in dem Loch ausharren. Er atmete seufzend aus. »Ich müsste betteln gehen, wenn ich hier nicht mehr arbeiten könnte«, dachte er und zog den durchlöcherten
Umhang bis zum Kinn. Sein Atem rasselte, und heftiger Husten ließ seine Lungen brennen. »Vielleicht sterbe ich vor dir«, mutmaßte der Mann bitter und wandte sich von dem Gefangenen ab. Das wäre mir sogar Recht, dachte er. Mein Augenlicht schwindet durch das trübe Licht, sodass ich nur noch Umrisse erkennen kann. »Aber dafür höre ich umso besser«, gluckste er.
Er wollte zu seinem Tischchen schlurfen, als er glaubte, dass der Gefangene etwas flüsterte. Der Kerkermeister ging zurück zur Zellentür. »Was hast du gesagt?«, fragte er und drehte den Kopf zur Seite, um besser hören zu können.
»Wasser«, flüsterte der Mann auf dem Boden.
Der Alte hatte verstanden und schnappte den Eimer neben dem Tisch. »Du hast Glück«, sagte er in Richtung der Zelle. »Ich habe erst heute frisches Wasser eingefüllt«, erklärte er, obwohl der Gefangene ihm nicht zuhörte. Doch der Kerkermeister war froh für jeden Satz, den er nicht zu sich selber sprechen musste. Mit zittrigen Händen schöpfte er Wasser in einen Becher und stellte ihn auf dem Tisch ab. Seine verknöcherten Finger steckten den Schlüssel, der mit vielen anderen an einem schweren Eisenring hing, in das Schloss. Bevor er umdrehte, rieb er sich über die Fingerstummel der rechten Hand. »Verflucht!«, schimpfte er. »Schnee liegt in der Luft. Deshalb schmerzen meine Knochen besonders stark. Ich kann es kaum erwarten, bis der Winter vorbei ist.«
Als er den Eisenschlüssel
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