Schwur der Sünderin
Hauser und aß ruhig seine Suppe weiter.
Anna Maria lag weinend in ihrem schwarzen Brautkleid auf dem Bett, und obwohl ihre Lider bereits angeschwollen waren, konnte sie nicht aufhören. Sie fühlte sich elend und alleingelassen, und je mehr sie darüber nachdachte, desto stärker flossen die Tränen. Sie fasste nach der Kette an ihrem Hals und flüsterte zum wiederholten Mal: »Lieber Gott, bitte lass mich aus diesem bösen Traum rasch wieder erwachen.«
Aber der Schmerz, den sie fühlte, als sie sich in den Arm
zwickte, bewies ihr, dass sie nicht träumte. Sie schloss die Augen und sah in ihrer Erinnerung Veit auf dem kalten Kirchenboden liegen, aus zahlreichen Wunden blutend. Den Blick, mit dem er sie angesehen hatte, bevor er bewusstlos wurde, würde sie niemals vergessen können. »Warum hat ihm niemand geholfen?«, schluchzte Anna Maria laut.
Als Ulleins Helfer den ohnmächtigen Veit brutal an den Armen aus der Kirche schleiften, stellte sich keiner der Anwesenden ihnen in den Weg. Sogar ihre eigene Familie ließ es geschehen, und selbst, als Anna Maria aufschrie, weil sich eine Blutspur auf dem Steinboden abzeichnete, taten ihre Brüder nichts, um Veit zu befreien.
»Ich hasse sie! Ich hasse sie!«, schrie Anna Maria in ihr Kissen und schlug mit der Faust immer wieder auf die Strohmatratze.
Der Gedanke, dass Veit tot sein könnte, ließ unbändige Angst in ihr aufsteigen. Anna Maria glaubte, dass der Boden unter ihr schwankte, und ihr Kopf dröhnte. Sie schloss die Augen, wartete, bis ihre aufgewühlten Gefühle sich beruhigten, und dann hörte sie in sich hinein. Die Furcht, die sie stets überkam, wenn im Traum ein Sterbender sich von ihr verabschiedete, blieb aus.
Anna Maria öffnete erleichtert die Augen und dankte dem Himmel. Es ist noch nicht zu spät!, dachte sie und schlief erschöpft ein. Doch auch im Schlaf fand sie keine Ruhe. Immer wieder schreckte sie hoch, da sie im Traum Ulleins hässliche Fratze sah und erneut mit ansehen musste, wie die Bauern auf Veit einstachen.
Verzweifelt setzte sich Anna Maria auf und schlug die Hände vors Gesicht, um die schrecklichen Erinnerungen der vergangenen Stunden zu vertreiben. Sie zwang sich, an andere Bilder zu denken. Und plötzlich sah sie sich mit Veit im Heu liegen, und die Erinnerungen an ihre Liebesnacht drängten sich in ihr Bewusstsein. Sie erinnerte sich an die Kälte, die auf der Tenne geherrscht hatte, und ein Schauer durchlief ihren Körper. Anna
Maria lächelte in sich hinein, denn Veit hatte gewusst, wie er sie wärmen konnte. Er hatte sie an Dingen teilhaben lassen, die sie nicht kannte. Bei diesen Gedanken spürte sie, wie Hitze sich ihres Körpers bemächtigte, und augenblicklich fühlte sie sich schuldig.
»Veit ist verhaftet worden, und du denkst an etwas, was du vor der Eheschließung nicht hättest tun dürfen«, schalt sie sich selbst. Der Gedanke, dass Gott sie bestrafen wollte und Veit deshalb leiden ließ, überwältigte sie, als sie laute Stimmen vor ihrer Kammer hörte. Es waren Annabelle und ihr Vater, die beide die Treppe heraufpolterten. Als sich die Tür auf der anderen Seite des Gangs öffnete, hörte Anna Maria, wie Annabelle laut kreischte: »Ich werde nicht in diesem Haus bleiben.«
Und bevor sich die Tür schloss, schrie ihr Vater: »Du bist jetzt eine Hofmeisterin, und du wirst bleiben.«
Das Leben in diesem Haus scheint aus den Fugen geraten zu sein, dachte Anna Maria und fing wieder heftig an zu weinen.
Gabriel kam ohne Annabelle in die Stube zurück und sagte zu Peter: »Sie schläft.«
Erleichtert schob Peter seinen leeren Teller zur Seite und schlug vor: »Wir gehen zum Grundherrn und stellen klar, dass die Anschuldigungen gegen Veit gehässige Verleumdungen sind.«
»Ullein vertritt erst seit Kurzem seinen kranken Vater. Meint ihr, dass sein Leumund größer ist als eurer?«, fragte Hauser nachdenklich.
Jakob verzog verächtlich die Mundwinkel: »Da wir als freie Bauern keine Abgaben an den Grundherrn zahlen müssen, sind wir ihm von je her ein Dorn im Auge. Er wird jeder Anschuldigung, die man gegen die Hofmeister-Familie erhebt, glauben.«
»Dann weiß ich nicht, warum wir zum Grundherrn gehen
sollen. Wir müssen Veit befreien!«, forderte Friedrich, während die anderen schwiegen.
»Wohin könnten sie ihn gebracht haben?«, wollte Hauser wissen, als Gabriel nachdenklich einwarf:
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Grundherr tatsächlich glauben wird, Veit könne sich in einen Werwolf
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