Schwur der Sünderin
Rücksicht auf Nikolaus, Christel und Sarah nehmen. Das Gesindel wird uns umbringen, Anna Maria!«, schrie Jakob.
Dann sprang er auf und blickte hinaus auf den Gang. Als niemand zu sehen war, ging er zum Fenster, öffnete die Läden und blickte zur Scheune hinunter. Das Gebäude war hell erleuchtet, und Jakob konnte lauten Gesang hören. »Zum Glück sind die Knechte und Mägde in der Scheune versammelt und feiern, obwohl es nichts zu feiern gibt. Ich hoffe, dass niemand uns belauscht hat.« Er schloss den Laden, setzte sich und vergrub das Gesicht in beiden Händen.
»Jakob«, versuchte Anna Maria ihren Bruder zu besänftigen, »du hast Veit kennengelernt. Er ist kein böser Mensch. Er ist kein Untier. Veit hat die Gabe, mit Wölfen zu sprechen, so wie du die Gabe im Umgang mit Pferden hast.«
»Pferde sind keine mordlustigen Bestien«, wies Jakob sie zurecht. »Und den Anklägern ist deine Begründung einerlei. Für sie wird einzig und allein zählen, dass wir einen Wolfsmenschen beherbergt haben.«
»Ich bleibe keine Nacht länger als nötig in diesem Haus«, presste Gabriel zwischen seinen Zähnen hervor. »Und meine Tochter werde ich mitnehmen«, sagte er, an seinen Schwiegersohn gewandt.
»Das erlaube ich nicht«, erwiderte Peter mit fester Stimme. »Annabelle ist meine Frau und hat an meiner Seite zu sein, in guten und in schlechten Tagen.«
»Bist du von allen Sinnen verlassen?«, schrie Gabriel. »Willst du sie und das Kind dieser Gefahr aussetzen?«
»Welcher Gefahr?«, fragte Hauser ruhig, der wie immer anscheinend einen klaren Kopf behielt.
Alle verstummten und sahen ihn fragend an.
»Niemand außer uns weiß, dass Veit ein Wolfsbanner ist …«
»Nehmenich hat gesagt, dass seine Kinder Veit bei der Verwandlung beobachtet haben«, zischte Jakob.
»Wer glaubt dem Geschwätz der Kinder? Jeder weiß, dass Nehmenich auf Rache aus ist, weil Peter Susanna verschmäht hat«, erklärte Hauser und tat gelassen, doch dann sagte er in eindringlichem Ton: »Nichts von dem, was Anna Maria uns gebeichtet hat, darf nach außen dringen.«
»Indem wir schweigen, retten wir Veit nicht«, weinte Anna Maria und schnäuzte in ein Tuch. Hauser nickte.
»Da hast du Recht, mein Kind. Aber das Wichtigste ist, Zeit zu gewinnen und zu versuchen, eine Anklage und den Prozess hinauszuzögern. Nur so haben wir genügend Zeit, euren Vater zu finden.«
Die Augen der Hofmeister-Kinder weiteten sich erstaunt.
»Du bist von Sinnen«, schimpfte Gabriel und fragte kopfschüttelnd den Freund: »Wo willst du Joß suchen, und wie willst du ihn finden? Er könnte sich überall im Reich aufhalten.«
Hauser schüttelte den Kopf. »Wir beide kennen Joß und müssen nur jede Möglichkeit abwägen, wen er aufsuchen könnte. Und dabei hilft uns seine Zeichnung.«
»Welche Zeichnung?«, wollte Friedrich wissen.
»Das werdet ihr gleich sehen«, antwortete Gabriel gereizt.
»Was ist, wenn ihr euch irrt?«, fragte Peter leise.
Hauser blickte den jungen Mann streng an und schimpfte: »Daran dürfen wir nicht einmal denken!«
Jakob war schnarchend am Tisch eingeschlafen, während Friedrich sich ein weiteres Stück Schweinefleisch genehmigte, das Anna Maria aus der Küche geholt hatte. Peter hingegen blickte neugierig über Hausers Schulter und fragte: »Was soll die Zeichnung darstellen?«
Hauser lachte leise und verstärkte die Ränder seines Gebildes mit der Kohle. »Das ist die Fritzen-Spirale«, erklärte er und schob das Holzbrett so hin, dass Peter die Zeichnung sehen
konnte. »Diese Spirale hat dein Vater erfunden«, erklärte er. »Unter den Tausenden von Männern, die Joß gefolgt waren, gab es nur wenige, denen er vertraute und mit denen er seine Bundschuh-Aufstände plante. Die Posten der Männer wechselten jedoch von Aufstand zu Aufstand. Joß wollte ihre Fähigkeiten bestmöglich ausnutzen und schrieb vor jeder Planung ihre Namen in diese Spirale. Er nutzte allerdings diese Spirale auch, um nach jedem Fehlschlag seiner Aufstände seine Freunde und Feinde darzustellen.«
Peter blickte Hauser verständnislos an.
»Es waren zu viele Anhänger, die Joß um sich geschart hatte«, versuchte Hauser zu erklären. »Jeder Mann, dessen Name in der Nähe der Spiralenspitze stand, konnte sich des Vertrauens von Joß Fritz sicher sein.«
Peter schien immer noch nicht zu verstehen, sodass sich Gabriel nun einmischte: »Wir werden die Namen von ehemaligen Anhängern aufschreiben, mit denen euer Vater Kontakt aufnehmen könnte, um
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