Science Fiction Almanach 1981
von uns würden es begrüßen, wenn sie bald in nie d riger liegende Gegenden kämen.“
Im Gegensatz zu den bisherigen, oft nur schwer erken n baren Wegen, war der Pfad, der durch den Dämmerungs-Paß nach unten führte, leicht begehbar und gut markiert, und wir passierten ihn im Gänsemarsch. Als der Nebel dünner wurde und wir die Schneegrenze hinter uns ließen, sahen wir unter uns etwas, das wie ein riesiger grüner Teppich wirkte, der hier und da von leuchtenden Farbtupfern durchsetzt war. Ich deutete mit der Hand darauf.
„Die Baumwipfel des Nordwaldes. Die Farbflecke, die Sie von hier aus sehen, sind die Siedlungen der Waldlä u fer.“
Ein einstündiger Marsch brachte uns an den Rand des Waldes. Wir bewegten uns jetzt rascher vorwärts, vergaßen unsere Erschöpfung und dachten an nichts anderes mehr, als die Stadt vor Einbruch der Nacht zu erreichen. Im Inneren des Waldes war es still – beinahe unnatürlich still. Ich wu ß te, daß hoch über unseren Köpfen, zwischen den dicken Ästen, die das Sonnenlicht nahezu vollständig daran hinde r ten, den Boden zu berühren, in allen Richtungen Baumstr a ßen verliefen. Hin und wieder glaubte ich ein Rascheln, den Bruchteil eines Geräusches, eine Stimme oder einen G e sangsfetzen zu hören.
„Es ist ziemlich dunkel hier unten“, murmelte Rafe. „Wenn diejenigen, die hier leben, sich nicht in den Bau m wipfeln aufhielten, würden sie zweifellos blind werden.“
Kendricks flüsterte mir zu: „Werden wir verfolgt? Ob sie von oben auf uns herabspringen?“
„Ich rechne nicht damit. Was Sie hören, sind ganz einfach die Bewohner dieser Stadt, die dort oben ihren täglichen G e schäften nachgehen.“
„Komische Geschäfte müssen das sein“, sagte Regis kopfschüttelnd, und als wir über den moosbedeckten, nad e ligen Waldboden schritten, erzählte ich ihm ein wenig über das Leben der Waldläufer.
Ich hatte meine Furcht inzwischen verloren. Wenn jetzt etwas auf uns zukam, konnte ich mich zumindest sprachlich verständigen. Ich konnte mich den Waldläufern gegenüber identifizieren, ihnen klarmachen, was unsere Ziele waren, und die Namen meiner Zieheltern nennen. Offenbar war ein kleines bißchen meines Selbstbewußtseins inzwischen auch auf die anderen übergegangen.
Als wir weiter und weiter in mir bekanntes Gelände vo r drangen, blieb ich abrupt stehen und schlug mir mit der Hand gegen die Stirn.
„Ich wußte doch, daß wir etwas vergessen haben!“ sagte ich kehlig. „Ich bin einfach zu lange fortgewesen, das ist alles. Kyla!“
„Was ist mit Kyla?“
Mit ausdrucksloser, nahezu monotoner Stimme erklärte das Mädchen selbst, was ich meinte. „Ich bin eine unabhä n gige Frau. Und solchen gestattet man nicht den Zutritt zu einem Nest.“
„Nichts leichter als das“, sagte Lerrys. „Dann gehört sie einfach zu irgendeinem von uns.“ Und damit ließ er es b e wenden. Mehr hätte niemand von ihm erwarten können, denn darkovanische Aristokraten pflegen ihre Frauen auf Reisen dieser Art nicht mitzunehmen, ganz abgesehen d a von, daß sie solchen Mädchen wie Kyla nicht einmal ähnlich sind.
Die drei Brüder gerieten einander über die Frage, wer die vorgeschlagene Position einnehmen solle, beinahe in die Haare. Rafe machte einen beinahe unanständigen Vorschlag, woraufhin Kyla eine finstere Miene aufsetzte, die Lippen verlegen oder auch wütend aufeinanderpreßte und sagte: „Wenn Sie etwa glauben, daß ich auf Ihren Schutz angewi e sen bin …“
„Kyla“, sagte ich geradeheraus, „steht unter meinem Schutz. Wir werden sie als meine Frau vorstellen – und sie auch dementsprechend behandeln.“
Rafe verzog den Mund zu einem zynischen Lächeln. „Der Führer reserviert mal wieder das Beste für sich.“
Mein Gesicht widerspiegelte in diesem Moment offenbar etwas, dessen ich mir nicht bewußt war, denn Rafe zog sich daraufhin plötzlich zurück. Ich mußte mich dazu zwingen, langsam zu sprechen. „Kyla ist eine Führerin und deshalb unersetzlich. Wenn mir etwas zustößt, ist sie die einzige, die euch zurückbringen kann, deswegen ist ihre Sicherheit me i ne ganz persönliche A ngelegenheit. Ist das klar?“
Während wir den Weg weiterverfolgten, erstarb allmä h lich das schwachgrüne Licht. „Wir sind jetzt genau unte r halb der Waldläuferstadt“, sagte ich leise und deutete nach oben. Um uns herum erhoben sich die Hundert Stämme; astlose Säulen, deren Umfang derart groß war, daß vier Männer, die sich an den Händen
Weitere Kostenlose Bücher