Science Fiction Almanach 1981
Waldläufer hinauf, die jetzt verlassen waren. Zusammen mit meinem jetzt doppelten – oder vollständigen – Wissen hatte sich nämlich ein weiterer Schatten in meinem Gehirn gelöst, und ich erinnerte mich an eine Frau, die in Jay All i sons Gesichtskreis nur am Rande aufgetaucht war. Er hatte sie kaum zur Kenntnis genommen und ihr außer Toleranz – sie verstand die Sprache der Waldläufer und konnte deshalb mit ihnen arbeiten – nichts entgegengebracht. Ich öffnete die Tür, streifte kurz durch die Räume und schrie: „Kyla!“ Und sie kam. Sie rannte. Mit zerzausten Haaren. Sie gehörte mir.
Im letzten Augenblick wich sie ein wenig vor meinen Armen zurück und flüsterte: „Du bist Jason … aber auch noch ein wenig mehr. Anders …“
„Ich weiß selbst nicht mehr, wer ich bin“, erwiderte ich leise. „Aber ich bin ich. Vielleicht sogar zum ersten Mal. Willst du mir dabei helfen, es herauszufinden?“
Ich legte einen Arm um sie und versuchte zwischen me i nen Erinnerungen und dem Morgen einen Pfad auszum a chen. Mein ganzes Leben lang war ich über eine mir unve r traute Straße auf einen unbekannten Horizont zugegangen. Jetzt, da ich ihn erreicht hatte, mußte ich feststellen, daß er lediglich die Schwelle zu einem unerforschten Land bildete.
Kyla und ich würden es gemeinsam erforschen.
Mildred Downey Broxon
Alles zu seiner Zeit
Sie saß lange in dem stillen Haus und sah zu, wie die letzten Sonnenstrahlen auf den glatten gelben Pillen glänzten. Sie leuchteten wie Narzissen in einer seltsamen Schönheit. Alles war verschleiert, als würde man die Welt durch einen Wa s serfall betrachten; selbst der müde Papierwirrwarr im Haus nahm in dem ersterbenden Licht einen sanfteren Anblick an. Früher hatte sie sie immer gehaßt, diese traurige Tageszeit, als sie noch jung gewesen war. Jetzt aber machten der Staub und die schrägen goldenen Sonnenstrahlen alles unwirklich. Friedlich ruhte sie in sich selbst, bereit, von einer größeren Betäubung in eine kleinere überzuwechseln.
In der letzten Zeit hatte sie begonnen, den Schmerz zu fühlen, besonders in den Nächten, und sie hatte eine Menge Gewicht verloren. Sechs Monate, hatten sie gesagt. Sie hatte das akzeptiert, und jetzt war es Zeit zu gehen, ohne großes Aufhebens, ohne Aufregung, nur mit ein paar Reuegeda n ken.
Sie saß eine kurze Zeit ruhig da und sah zu dem Gestell mit ihren Büchern hinüber, Jims Büchern, und den vielen Büchern, die die beiden zusammen geschrieben hatten; sie dachte kurz an ihre Studenten, an die Expeditionen, an die unermüdliche Suche nach Wissen – das war jetzt alles vo r bei, vorbei und abgeschlossen.
Obwohl ihre steifen Gelenke protestierten, stand sie schnell auf und ging in die Küche. Dort blieb sie stehen und sah herab auf den schmutzigen Teller, die Tasse und die G a bel, die in der Spüle standen seit – wie lange war es her? Sie hatte in den letzten Tagen keinen Hunger mehr. Es war eine Schande, das Haus so zurückzulassen. Sie griff nach ihrer Schürze, machte aber dann nicht weiter. Jemand anders konnte spülen. Sie nahm ein sauberes Glas aus dem Schrank.
Sie drehte den Wasserhahn auf und ließ das Wasser la u fen, bis es kalt war, um sich dann das Glas zu füllen. Lan g sam schluckte sie die Pillen, eine nach der anderen. Mit Pi l len hatte sie sich schon immer schwer getan, und für diese hier brauchte sie eine lange Zeit. Sie waren zwar klein, aber es waren so viele. Sie hatte Monate gebraucht, um sie für diesen Notfall aufzusparen. Das leere Glas stellte sie sorgfä l tig wieder in die Spüle.
Die Katze meldete sich klagend von der Küchentür. „Du hast mich hier drinnen gehört und gedacht, ich mache dir was zu essen, nicht wahr?“ sagte sie.
Sie öffnete eine Dose Futter und brachte sie und die Ka t ze auf den Balkon vor dem Haus. „Du kommst schon gut allein durch“, teilte sie ihr mit. „Nebenan mögen sie dich.“
Unterwegs zum Schlafzimmer hielt sie an, um in einen Spiegel zu sehen. Sie war überrascht, wie alt sie geworden war. Wann war das geschehen? Vor oder nach Jims Tod? Sie begann eine Bewegung, um ihr weißgraues Haar glattz u streichen, lächelte dann aber und ließ ihre Hand matt an i h rer Seite herabsinken. Sie zog die Decken auf dem großen Doppelbett glatt und legte sich dann sorgfältig und mit nüc h terner Fairness auf ihre Seite, rutschte aber gleich in die Mitte. Sie vergaß das oft; alles war jetzt ‚ihre Seite’. Sie fa l tete die Hände über der
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