Science Fiction Almanach 1982
üblich: Wer verliert ist schuld. Der Versailler Vertrag setzte diesem bitteren Kapitel deutscher Geschichte ein scheinbares Ende.
Es folgte die Weimarer Republik mit ihren ständigen innenpolitischen Unruhen und Querelen; einig war man sich nur in einem Punkt: in der Revanche für die zu harten Bedingungen der Alliierten im Schandvertrag von Versailles, wie er landläufig tituliert wurde.
Gerade er tat ein übriges, die utopische Literatur in nationalistische Bahnen zu lenken. Die Zukunft werde diesen Schandfleck liquidieren und die deutsche Nation zu neuer Macht führen, so hoffte man jedenfalls, und so steht es auch in der einschlägigen Literatur.
Wissenschaft und Technik ermöglichten, die Welt unter deutscher Führung neu zu verteilen und es allen anderen Nationen mit aller Deutlichkeit zu zeigen, wie der Betrogene als Phönix aus der Asche emporsteigt.
Gerade nach dem Ersten Weltkrieg gab es daher einige besonders scheußliche Machwerke imperialistischer Zukunftsliteratur. Schon ein Blick auf die Titel verdeutlicht das in anschaulicher Weise: Alis. Die neue deutsche Kolonie. Das Ende von Versailles von Inführ 1924 publiziert oder Die rächende Stunde. Englands Schicksalstag. Ein Zukunftsbild, ein Roman Grasseggers aus dem Jahr 1932.
Derart propagandistisch-faschistische Elaborate gehörten allerdings Gott sei Dank nicht zur Norm. Die Autoren begnügten sich damit, den „Kampf’ auf einer sublimierten Ebene durchzuführen; die Macht des Stärkeren lag nicht in der Anzahl seiner Heere, sondern in Wissenschaft und Technik begründet.
Der deutsche Erfindergeist enthebt die Nation der Abhängigkeit vom Ausland; es ist das deutsche Genie, das seinen Kollegen eine Nasenlänge voraus ist und den Sieg davonträgt.
Unter dem Hitler-Regime erhielt diese chauvinistische Tendenz eine zusätzliche Dimension, den Kampf der arischen Rasse für ihre selbsternannten Privilegien. Dieser Rassenwahn mit seiner sich ändernden Bündnispolitik spiegelt sich auch in der utopischen Literatur. Die „Gelbe Gefahr“, zuerst ein oft wiederholtes Requisit Dominikscher Schreibweise, wandelte sich mit der weltpolitischen Konstellation alsbald in die „Gelbe Achse“.
Die Romane Daumanns und Lafferts, die beide zeitlebens im Schatten des berühmten Dominik standen, lesen sich hingegen immer noch gut. Bemerkenswert ist auch Bernhard Kellermanns Der Tunnel, obwohl er doch schon vor fast siebzig Jahren niedergeschrieben wurde. Er behandelt durchaus kritisch die Schaffung eines unterseeischen Verkehrstunnels zwischen den Vereinigten Staaten und Europa.
Wer es mehr phantastisch liebt, dem sei Paul Scheerbart ans Herz gelegt, sicher die originellste Persönlichkeit unter den deutschen Autoren. Als hungernder Philosophie- und Kunstgeschichtestudent verdiente er sich mit seinen Veröffentlichungen ein Taschengeld hinzu.
Allerdings ist er ebenso eine Randfigur der Szene wie Friedrich Freksa, über dessen einzigen utopischen Roman Druso die Kritiker völlig uneinig sind.
Wird er von der einen Seite als bester deutscher Zukunftsroman der Weimarer Republik gefeiert, sehen andere in ihm einen Ausbund faschistischer und antisemitischer Intoleranzen. Auch er berichtet von der Vernichtung der gelben Rassen, wie es Dominik so gerne tat (s. o.).
Daneben aber bietet er eine Fülle naturwissenschaftlich-technischer Innovationen, die heutigen Ansprüchen durchaus gerecht werden. Geburtenkontrolle – künstliche Zuchtwahl, wenn man so will – und Kälteschlaf sind jetzt ebenso aktuell wie das Thema: die Invasion insektenähnlicher Extraterrestrier, die eine degeneriert steinzeitliche Menschheit ausbeuten und von dieser gottähnlich verehrt werden.
Ob die schmarotzenden „Drusonen“, Bewohner des Kampfsterns Druso, tatsächlich eine Vorwegnahme der im Nationalsozialismus üblichen Vorstellung vom Juden waren, sei an dieser Stelle nicht weiter erörtert.
Führt man sich das bunte Kaleidoskop der deutschen Zukunftsliteratur bis 1945 vor Augen, so fallt eine pauschale Beurteilung denkbar schwer. Sicher ist auf jeden Fall, daß man sich in einer Zeit politischer Wirren hektischer Stagnation ganz auf den Technikoptimismus dieser Zeit verließ.
Die Zukunft von gestern ist nicht unser Heute, so formulierte es Dieter Hasselblatt einmal treffend. Aber sie liefert uns Heutigen via Zukunft ein Bild des Gestern, das geprägt ist von den geheimen und offenen Wünschen und Ängsten vergangener Tage. Deshalb kann die utopische Literatur jener Tage nicht
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