Science Fiction Almanach 1983
sicher nur eine Legende. Meine Hellsichtigkeit, wie sie mich am Tage foltert, läßt dagegen keine brillante Vernunft aufkommen.“
Der Alte wußte, daß der Jüngling neben ihm seit dem Augenblick des Lichtwechsels die Worte nicht mehr hören konnte. Das schreckliche, lichtgewohnte Wesen lag im Moment des Sonnenuntergangs bewegungslos, ohnmächtig, wie eine Viper im Nachtfrost erstarrt. Und wie jede Nacht träumte der Alte davon, alle diese lichtstarken, kaltblütigen Wesen in einer einzigen dieser hilflosen Nächte zu ermorden; wenn die Zeit dazu nur ausreichte, und wenn es nicht eigentlich nur eine ganz sinnlose Rache wäre. Außerdem empfand er Entsetzen davor, eines dieser menschlichen Monstren zu berühren, so wie ihn vor der Berührung einer Schlange graute.
Der milchige Ruß nächtlicher Schatten stäubte vor seinen Augen. Nur jetzt in der schmerzfreien Nacht wagte der Alte seinen Platz zu verlassen, sich aus dem relativ sicheren Zentrum von Lichtklinges Wohnrevier zu entfernen. Er tastete die Wand entlang bis zu ihrem Ende nach etwa fünfzig Schritten, wo ihm ein kühler Aufwind verriet, daß der Boden hier ziemlich steil abfallen mußte. Und manchmal tastete er über den Platz zur gegenüberliegenden Wand. Andere Ausflüge wagte er nicht. Er kannte diese Gegend nicht gut, sie hausten erst seit kurzem hier. Hin und wieder wich er einem erstarrt liegenden Körper aus. Er spürte ihre sengende Ausstrahlung, ehe er sie berühren mußte.
„Die Erosion hat ihr Werk getan“, sagte er seinen tastenden Händen folgend, „Unebenheiten, wo einmal eine tödliche, eine blicktötende Glätte war.“ Er sagte das möglichst laut, es tat ihm jetzt wohl, in seinem schmerzfreien Kopf die eigene Stimme zu vernehmen. Es war beinahe, als spräche ein anderer zu ihm, ein Bundesgenosse und Leidensbruder. Dann schlief auch er, denn der Tag mit seinen grellen Schmerzen erschöpfte ihn.
Am nächsten Tag, als die furchtbare Sonne am höchsten stand, hallte plötzlich ein spitz-gellender Schrei über den Platz. Im ersten Augenblick glaubte Stoh erschrocken, er selbst habe so geschrien. ‚In Gedanken oder gar laut?’ fragte er sich ängstlich, ‚mehr Selbstbeherrschung, verflucht, ich darf nicht unnötig die Aufmerksamkeit auf mich richten.’
Dann wiederholte sich der Schrei um eine Spur zorniger. Metall klirrte in kurzen Abständen aufeinander, begleitet von gellenden Kampf schreien. Sogleich focht die Geisterarmee der Echos mit. Es klang, als wenn zwei Stahlspitzen schrillend über eine große Glasplatte ritzten, deren Rand zugleich unter kreischenden Tönen zersplitterte. Das waren die Angstschreie der Frauen, die an den Säumen des Platzes das schwerfälligere Getümmel mit einem noch grelleren Ring aus Entsetzen umgaben.
Der Kampf war nur kurz. Stohs Empfinden vermischte die schmerzhafte Laute so sehr mit seiner gewohnten Tageslichtfolter, daß ihm ihr plötzliches Verstummen erst bewußt wurde, als er die wie immer undeutbaren Schritte auf sich zukommen hörte. Noch immer bebten die kreischenden Echos in seinem Gedächtnis nach.
Diesmal wagte er seine gewöhnliche Frage nicht. Und erst nach einer grausam langen Pause hörte er die gewohnte Stimme: „Ich nehme dir nichts übel, Stoh, nicht einmal, wenn du an meinem selbstverständlichen Sieg zweifelst.“
Der scharf duftende, von der Hitze des Tages gedörrte Fleischbrocken fiel dem Alten, hart geworfen, in den Schoß.
„Ein Sieg ist nie selbstverständlich“, sagte Stoh leise.
Lichtklinge ließ sich neben ihm nieder. „Iß, Alter, davon verstehst du nichts. Vom Kampf verstehst du gar nichts“, und während er fortfuhr, klang maßlose Selbstbewunderung in
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