Science Fiction Almanach 1983
schon eine ganze Weile beobachtet.“
„Aber diese Spieluhr habe ich Tessa …“
„Ssst.“
„… habe ich meiner Freundin als Talisman geschenkt.“
„Sie können sie treffen“, sagte die Stimme hinter Tyra, „aber Sie werden sie nicht gleich erkennen.“
„Schlagen Sie einen Treffpunkt vor. Ich kann einen Freizeitbonus einlösen.“
„Ich soll Ihnen nur ein Wort sagen –‚Likendeeler’. Sie wird auf Sie warten. Fünfundvierzig Minuten nach dieser Show.“
„In Ordnung.“ Tyra wandte das Gesicht halb zur Seite, um wenigstens aus den Augenwinkeln noch einen Blick auf die geheimnisvolle Botin zu werfen. „Wenn etwas schiefgeht, wo finde ich sie?“
„Nehmen Sie eine Gleitpfadkabine der Linmotbahn zur Düne Nord, Offshore-Hotel. Ich heiße Jill Larsson.“
„Bis später, Jill.“ Tyra fühlte ihr Herz wild gegen die Rippen schlagen.
Seltsame Knarr- und Gurgellaute drangen aus den Lautsprechern der Unterwasserübertragung. Eine hübsche Meeresbiologin in einer Art von seegrünem Ärztedreß – wie eine OP-Schwester auf der Intensivstation, bloß ohne Mundschutz – lieferte den Life-Kommentar: „Ich begrüße Sie am neuen Spezialbecken für unsere Kampfhummer-Show! Unsere beiden Zehnfuß-Gladiatoren sind erfahrene Taktiker. Beide messen vom Nasendorn bis zum ersten Schwanzsegment stolze siebzig Zentimeter. Prächtig ausgereifte Zuchtexemplare! Zu Ihrer Information ein kleiner Zahlenvergleich: 1937 wurden hier 80000 Hummer von den Fischern angelandet. 1974 waren es gerade noch 800! In diesem Jahr, also 1999, wird die Zuchtausbeute voraussichtlich 170000 Krustentiere betragen. Ein stolzer Erfolg der Fischerei-Planwirtschaft! Doch zurück in die feuchte Arena zu unserem ersten Kampfhummerpaar. Gebannt fixieren die beweglichen Stielaugen den Gegner. Die blättrigen Kiemen sitzen geschützt in den beiderseitigen Hohlräumen unter dem Brustbeinschild. Aber das wichtigste Organ, das Gleichgewichtsorgan, befindet sich im Basalglied der ersten Fühlerantenne. Das kann gefährlich werden! Die mächtigen Kampfscheren, deren Innenkanten mit Metglas verstärkt sind, haben sich angriffslustig geöffnet. Aufgepaßt! Und da wagt der rot markierte Riese den ersten Ausfall …“
Tessa, Tessa, Tessa … hämmerte es hinter Tyras Stirne. Es hielt sie nicht länger auf ihrem Sitz. Ohne rechts oder links zu schauen, lief sie der Leuchtschrift A USGANG entgegen.
Die Nordostklippen der Insel waren durch einen schönen Kletterweg, der am Felssockel bis in die Nähe des Nordhorns führte, zu sehr begangen. Auch das Mittelland, die Südklippen oder das Westhafengebiet fielen für das Geheimtreffen mit Tessa aus.
Wie hatte das übermittelte Codewort gelautet? ‚Likendeeler’! Das hieß Gleichmacher oder Gleichteiler. So nannten sich die Gefährten des legendären Störtebeker, des Seeräubers, der hier auf Forsetisland geheime Höhlenverstecke mit den Schätzen seiner verwegenen Raubzüge gefüllt haben soll. Schatzhöhlen, nach denen auch Tyra und Tessa spaßeshalber, doch erfolglos gesucht hatten. Ob seit der Hinrichtung Störtebekers in Hamburg im Jahre 1401 n. Chr. jemals Beutefunde gemacht wurden, wußte nicht einmal die Inselinfo zu beantworten.
Likendeeler! Dieses Wort schmeckte noch immer nach Abenteuer und Freiheit. Außerdem wies es auf ein ganz bestimmtes Areal im Felswattgürtel unter den mächtigen Steilabfällen der Westklippen hin, das man nur bei Springtide erreichen konnte. Bei Niedrigwasser hatten die beiden Freundinnen dort zwischen den Göddeln, in denen ständig das Wasser zurückblieb, nach Seeigeln gestöbert.
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