Science Fiction Anthologie Band 3 - Die Vierziger Jahre 1
starkes Ichbewußtsein – er erinnerte sich daran. Er überlegte sich eine passende Formulierung: das Ego ist ein Moment des Ichbewußtseins, jeweils der letzte Punkt in einer fortdauernden Kette des Erinnerungsvermögens. Das hörte sich ganz wie ein allgemeingültiges Prinzip an, aber er war sich seiner Sache noch nicht sicher; er würde erst einmal versuchen müssen, es in eine mathematische Formel zu fassen, bevor er ihm vertrauen konnte. In wörtlichen Formulierungen steckten manchmal sehr gefährliche, wenn auch noch so harmlos anmutende Fallen.
Das Telephon läutete.
Geistesabwesend nahm er den Hörer ab. „Ja?“
„Bist du das Bob?“
„Ja. Wer spricht da?“
„Aber Liebling, ich natürlich, Genevieve. Was ist heute nur in dich gefahren? Das ist jetzt das zweite Mal, daß du meine Stimme nicht erkannst hast!“
Ärger und Enttäuschung stiegen in ihm auf. Das war das dritte Problem, das er noch nicht gelöst hatte – nun, er würde es sofort lösen. Er ignorierte ihre Klage. „Hör mal, Genevieve, ich habe dir doch gesagt, daß du mich nicht anrufen sollt, wenn ich arbeite. Auf Wiedersehn!“
„Also, das ist doch – so darfst du mir nicht kommen, Bob Wilson! Erstens hast du heute gar nicht gearbeitet, und zweitens, was berechtigt dich zu der Annahme, daß du mich erst mit Schmeicheleien und süßen Redensarten überschütten und zwei Stunden später anknurren darfst? Ich bin gar nicht mehr so sicher, ob ich dich noch heiraten will.“
„Du mich heiraten? Wie bist du nur auf diese törichte Idee gekommen?“
Das Telephon knatterte mehrere Sekunden lang. Als das Geschnatter etwas nachließ, schaltete er sich ein: „Beruhige dich. Wie du wissen solltest, leben wir nicht in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Du kannst nicht von mir erwarten, daß ich dich gleich heirate, weil ich dich ein paarmal ausgeführt habe.“
Einen Augenblick blieb es im Hörer stumm. „Also so läuft der Hase, wie?“ kam schließlich die Antwort in einer so kalten, harten und heftigen Stimme, daß er sie fast nicht wiedererkannt hätte. „Nun, Gott sei Dank gibt es noch Möglichkeiten, mit Männern wie dir umzuspringen. Eine Frau ist in diesem Land nicht schutzlos!“
„Du mußt es ja wissen!“ entgegnete er wütend. „Lange genug hast du dich ja mit Studenten abgegeben!“ In seinem Hörer knackte es. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Diese Dame, das wußte er, war absolut fähig, ihm eine Menge Ärger zu bereiten. Man hatte ihn gewarnt, bevor er sich um sie zu kümmern begann, aber er war seiner selbst viel zu sicher gewesen und hatte die gut gemeinten Worte in den Wind geschlagen. Hätte er doch nur auf sie gehört – aber an solche Folgen hatte er damals natürlich überhaupt nicht gedacht.
Er versuchte, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren, brachte es aber nicht fertig. Der Abgabetermin von 10 Uhr früh am nächsten Tag schien auf ihn zuzurasen. Er blickte auf seine Uhr. Sie war stehengeblieben. Er stellte sie nach der Uhr auf seinem Schreibtisch – 4.15 Uhr nachmittags. Selbst wenn er die ganze Nacht aufblieb, konnte er die Arbeit unmöglich zufriedenstellend abfassen.
Und außerdem war da noch Genevieve …
Das Telephon läutete wieder. Er nahm den Hörer ab und legte ihn daneben. Er würde nicht noch einmal mit ihr reden.
Er dachte an Arma. Das war ein richtiges Mädchen mit der richtigen Einstellung zum Leben. Er trat langsam ans Fenster und starrte auf die staubige, lärmerfüllte Straße hinunter. Halb unbewußt verglich er sie mit der grünen, friedlichen Landschaft, die er von der Terrasse während des ausgedehnten Frühstücks mit Diktor gesehen hatte. Dies hier war eine lausige Welt voller lausiger Leute. Wenn Diktor doch nur offen zu ihm gewesen wäre, dachte er bitter.
Ein Gedanke formte sich in seinem Gehirn und pochte wie wild an sein Bewußtsein. Das Tor war noch offen. Das Tor war noch offen! Warum sich wegen Diktor Sorgen machen? Er war sein eigener Herr. Er konnte zurückgehen und die Sache ausfechten – er hatte alles zu gewinnen und nichts zu verlieren.
Er trat vor das Tor, doch dann zögerte er. War es auch weise, was er da vorhatte? Was wußte er denn schließlich über die Zukunft?
Er hörte Schritte die Treppe hinauf und durch den Korridor kommen; sie – ja, sie hielten vor seiner Tür. Plötzlich war er überzeugt, daß das Genevieve sein mußte; das machte seinen Entschluß endgültig. Er schritt hindurch.
Niemand war bei seiner Ankunft in der Torhalle.
Er
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