Science Fiction Anthologie Band 4 - Die Vierziger Jahre 2
hinauszugraben. Es würde eine lange und mühselige Aufgabe sein, da sie nur ihre Zähne und Krallen zum Arbeiten hatten.
Aber er hatte ein Werkzeug.
Die Finger der Hand seines unverletzten Arms tasteten an die noch in seinem anderen Arm vergrabene Speerspitze. Er wußte, die bei weitem beste Art, sie herauszuziehen, wäre ein schneller Ruck – aber er konnte sich nicht überwinden, es zu tun. Langsam, schmerzhaft arbeitete er das scharfe Metallbruchstück frei. „Laß es mich für dich tun.“
„Nein.“ Seine Stimme war rauh. „Außerdem besteht keine Eile.“ Langsam, geduldig, zerrte er an der Wunde. Er stöhnte ein wenig, obwohl er sich dessen nicht bewußt war. Und dann schrie Wesel plötzlich. Dieser Laut kam so unerwartet, war so furchtbar in diesem beengten Raum, daß Shrick heftig zusammenzuckte. Seine Hand riß sich vom Oberarm los und nahm die Speerspitze mit. Sein erster Gedanke war, daß Wesel, da sie Telepathin war, diesen Weg gewählt hatte, ihm zu helfen. Doch er empfand keine Dankbarkeit, nur einen dumpfen Unmut.
„Weshalb hast du das gemacht?“ fragte er ärgerlich.
Sie beantwortete seine Frage nicht. Sie beachtete seine Anwesenheit nicht.
„Die Leute …“, flüsterte sie, „die Leute … ich kann ihre Gedanken spüren … ich kann fühlen, was sie fühlen. Und sie keuchen nach Luft … Sie keuchen und sterben … Und die Höhle von Langes-Fell, dem Speermacher … Aber sie sterben, und das Blut kommt ihnen aus Mündern und Nasen und Ohren … Ich kann es nicht ertragen … Ich kann nicht –“
Und dann geschah etwas Entsetzliches. Die Seitenwände der Höhle drängten sich zu ihnen herein. In der ganzen Welt, im ganzen Schiff dehnten sich die Luftzellen in der schwammartigen Isolation, als der Luftdruck auf Null fiel. Dies allein war es, was Shrick und Wesel rettete, obwohl sie dies nie erfuhren. Der grobe Korken, der ihre Höhle verschloß, und der sonst herausgeflogen wäre, schwoll an, den sich dehnenden Wänden des Eingangs entgegen, was eine beinahe perfekte luftdichte Verbindungsstelle ergab.
Doch die Gefangenen waren nicht in der Lage, dies schätzen zu können, selbst wenn sie im Besitz des notwendigen Wissens gewesen wären. Panik ergriff sie beide. Klaustrophobie war bei den Leuten unbekannt – aber Wände, die sich um sie zusammenzogen, waren außerhalb ihrer Erfahrung.
Vielleicht war Wesel die Vernünftigere von ihnen. Sie war es, die ihren Partner zurückzuhalten versuchte, als er wild, wie wahnsinnig, an den aufgeblähten, sich wölbenden Wänden herumkrallte und biß. Er wußte offensichtlich nicht mehr, was außerhalb der Höhle geschah, und hätte er es noch gewußt, so hätte dies keinen Unterschied gemacht. Sein einziges Verlangen war, hinauszukommen.
Anfangs kam er wenig voran, dann entsann er sich der kleinen Klinge, die er noch mit seiner Hand umfaßt hielt. Die Zellenwände waren dünn gedehnt, fast zum Bersten, und unter seinem Ansturm brachten sie nicht mehr Widerstand auf als Seifenblasen. Eine Stelle wurde freigelegt, und Shrick war in der Lage, mit noch größerer Wirkung zu arbeiten.
„Halt! Halt, sage ich dir! Es gibt nur den Erstickungstod außerhalb der Höhle. Und du wirst uns beide umbringen!“
Aber Shrick achtete nicht darauf, fuhr fort zu stechen und zu hacken. Er kam nur langsam voran, war kaum fähig, den ursprünglichen Eindruck, den er gemacht hatte, zu vergrößern. Wie die geschwollenen Oberflächen unter seiner Klinge platzten und welkten, so wölbten und blähten sie sich an anderen Stellen auf.
„Halt!“ schrie Wesel erneut.
Mit ihren Händen zog sie sich auf ihren Partner zu, und schleifte die nutzlosen Beine hinter sich her. Und sie rang mit ihm, wobei ihr die Verzweiflung Kraft verlieh. So kämpften sie viele Herzschläge lang – stumm, wild, ungeachtet all dessen, was jeder dem anderen verdankte. Und doch vergaß es Wesel vielleicht nicht ganz. Bei all ihrem blinden, rasenden Willen zu überleben, waren ihre telepathischen Kräfte zu keiner Zeit völlig unwirksam. Trotz ihrer selbst hatte sie, wie immer, Teil am Verstand des anderen. Und dieser psychologische Faktor gab ihr einen Vorteil, der die Lähmung der unteren Hälfte ihres Körpers wettmachte – und sie gleichzeitig daran hinderte, diesen Vorteil bis zu seinem logischen Schluß zu nutzen.
Doch das rettete sie nicht, als sich ihre Finger versehentlich in die Wunde in Shricks Arm gruben. Sein ohrenbetäubender Schrei war aus Schmerz und Wut zusammengesetzt, und er griff
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