Science Fiction Jahrbuch 1983
einen Gerd Prokop. Er lebt in der DDR und schreibt u.a. auch SF. Gute SF, muß man hinzufügen, in der wirklich etwas von Lem und Ballard steckt. Die vorliegende Kollektion erschien zunächst 1977 im Verlag Das Neue Berlin unter dem schönen Titel Wer stiehlt schon Unterschenkel? Erfreulicherweise hegen nun auch bei Heyne die gesammelten Abenteuer Timothy Truckles vor. Warum man sich allerdings für den Titel Der Tod der Unsterblichen entschied, ist mir ein Rätsel. Sei’s drum, der Inhalt des Buches ist der gleiche. Einige der Geschichten zeigen zwar Schwächen, von denen noch die Rede sein wird, es ist aber im großen und ganzen eine solch ge lungene Mischung, daß sich die Lektüre aller Geschichten – in der vorgegebenen Reihenfolge – lohnt.
Timothy Truckle, genannt „Tiny“, ist ein Privatdetektiv, der sein Büro im 827. Stockwerk (sie!) eines Chicagoer Wolkenkratzers hat, das er – wie sein berühmter Kollege aus dem 20. Jahrhundert, Rex Stout’s Nero Wolfe – nur dann verläßt, wenn es unbedingt erforderlich ist. Eine weitere Anleihe Prokops bei Nero Wolfe ist beider Vorliebe für Essen und ein ausgeprägter Snobismus. Timothy läßt sich bevorzugt in Naturalien auszahlen – im Amerika des 21. Jahrhundert, in dem Timothy lebt, sind Lebensmittel allerdings von ähnlichem Wert wie für Andrew Rusch in Harry Harrisons Roman New York 1999. Timothy hat noch ein weiteres Problem – er ist nur einen Meter fünfzig groß. Zitat: „Als Junge träumte ich davon, Astronaut zu werden … Dann wurden die Gesetze über die Annullierung minderwertigen Nachwuchses verabschiedet … Da saß ich nun mit vier Diplomen und zwei Doktorhüten. Sollte ich Spike-Jockei werden oder mich im Zirkus als Abnormität zur Schau stellen? So wurde ich Detektiv.“
Prokop schildert ein Dystopia, wie es Ballard oder Dick nicht bedrückender hätten ausdrücken können. Übermächtige Konzerne, eine kaum noch einzudämmende Kriminalität und eine fast vollständig verseuchte Umwelt bestimmen das tägliche Leben. Alle diese Faktoren werden nicht einfach nur erwähnt, sondern sie spielen eine entscheidende Rolle in den acht Erzählungen.
Zur Lösung seiner kriminalistischen Probleme steht Timothy sein treuer Napoleon zur Seite. Napoleon ist ein Computer. Und dieser Computer ist einfach zu schlau. Er kann nicht nur sprechen und mittels eigener Intelligenz die Initiative ergreifen, sondern Timothy wäre ohne ihn im wahrsten Sinne des Wortes verloren. Bei dieser Gelegenheit soll auch gleich von der zweiten Schwäche die Rede sein. Bei jeder Detektivgeschichte ist der Leser unwillkürlich versucht, den Fall anhand von Andeutungen und versteckten Hinweisen lösen zu wollen, bevor es dem Detektiv selber gelingt. Prokop macht dies fast unmöglich. Das liegt zum Teil daran, daß einige der Lösungen an den Haaren herbeigezogen sind, und zum anderen an seiner bizarren Phantasie – die eindeutig zu den Stärken des Buches zählt. Ein dritter Grund dafür sind die außergewöhnlichen Zustände in den USA. Bei Prokop heißen sie „Nighted States“ – eines der sehr zahlreichen gelungenen Wortspiele. In diesem Fall bietet er gleich mehrere mögliche Bedeutungen an. Zitat: „… andere erklären es so, daß die Gegensätze im Land derart groß sind, daß nichts sie mehr vereinen könne … sehr einleuchtend erscheint mir die Version, daß der Ursprung des Wortspiels in der Gleichsetzung der USA mit der übermächtigen Geheimpolizei NSA, der National Security Agency, liegt.“ Jene NSA wird Timothy auch in eine sehr unangenehme Lage bringen, in der beklemmensten Erzählung Spiel auf Leben und
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