Science Fiction Jahrbuch 1983
etwas haben könnte, wer wie wann wo eingreifen wird. Er gibt verzweifelt auf, er kann mir nicht kurz erzählen, was im letzten Heft geschah, das ist verwoben in alles, es werden unübersehbar viele Informationen vorausgesetzt, wieder aufgegriffen, zitiert, verwiesen. Ein Band ist immer nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Kosmos von PR. Ich müsse eben selbst lesen, meinte er.
Wenn ich selbst lese, kann ich einzelne Hefte selbstverständlich verstehen, sie sind auch voraussetzungslos angelegt: Es soll das Einsteigen möglich sein. Aber Kurt S. kommt es auf diese Ebene gerade nicht an, daran hat er keinen Spaß, was mir, dem unkundigen Leser, entgeht, das ist die Quelle seiner Leselust. Die Anspielungen alle zu verstehen, sich auszukennen, die Lösungsmöglichkeiten und ihre Unzulänglichkeit in bestimmten Problemkonstellationen selbst durchdenken zu können, die Auswirkungen einer Maßnahme in der Milchstraße auf die Handlung im Bereich der kosmischen Burgen zu ahnen und zu fürchten, selbst weit er zuphantasieren: Das scheint das Zentrum des Lesevergnügens bei dieser geächteten Romanfolge zu sein.
Ein Kosmos der technischen, auch der politisch-militärischen Phantasie: Weltherrschaft. Das Unwirkliche, Ausgedachte, auch das Unmögliche ist oft mit Altbekanntem verknüpft: Durch die Sprache, durch Wörter, Begriffe und Sätze sind alle phantastischen Vorstellungen in unsere Realität eingebunden, es kann nur erzählt werden, wofür die Realität die Sprache zur Verfügung stellt. Eine Wortzusammenstellung wie „kosmische Burgen“ oder „Materiequellen“ zeigt, daß diese Nähe von Vertrautem und Unbekanntem gezielt konstruiert wird: Mittelalterliche Burgen evozieren bildliche Vorstellungen, die durch die Lokalisierung im All dementiert werden. Die erdgebundenen Vorstellungen werden in die Unendlichkeit vergrößert, aber auch relativiert, verändert, negiert; die Erdbewohner sind unendlich klein, verloren, ohnmächtig, aber sie haben technische Machtmittel, die ihnen Bewegungsfreiheit und Durchsetzungsvermögen geben. Man könnte an Weltraumimperialismus denken, an pubertäre Tagträume: Aber in der PR Serie werden „fremde Völker nicht unterdrückt oder ausgebeutet“.
Ein kleiner Kosmos, die PR-Welt: Über eintausend Heftchen liegen vor, seit über tausend Wochen regelmäßig ein Fortsetzungsroman, zweiundsechzigtausend Seiten Lesestoff. Dazu Leserbriefe, Clubnachrichten, der Perry-Rhodan-Computer, PR-Report, PR-Bücher usw. Der Roman geht endlos weiter, er soll nie aufhören, unsterblich sein wie sein Held. Eine kleine Lesewelt, jede Woche neu, ein phantastischer Begleittext zur Menschheitsgeschichte.
Gelesen wird die PR-Serie vorwiegend von männlichen Jugendlichen, sie begleitet die Sozialisation des Mannes, geschrieben wird sie von mehreren Autoren nach Exposes, kommentiert wird sie wieder von den Lesern, die sowohl technisch-wissenschaftliche Fehler vorrechnen als auch einzelne Hefte oder den Gesamtverlauf monieren. Das Spezialistentum von Kurt S. wiederholt sich in den Leserbriefen, er scheint einen exemplarischen Lesertyp zu verkörpern. Er kann rückblickend, weil er dem PR-Alter schon entwachsen ist, diese Lesephase darstellen, und er kann erklären, warum er PR weiterliest.
2. „Das Komplexe ist das Interessante“
– Interview mit einem PR-Fan –
Kurt S. galt immer als Leseratte, jeden Tag liest er 1-2 Stunden. In der Kindheit las er die ganze Pfarrbücherei des Dorfes durch. 1969, als er 10 Jahre alt war, landeten die Amerikaner auf dem Mond, seither liest er Bücher zur
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