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Scudders Spiel

Scudders Spiel

Titel: Scudders Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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Kieferngehölz. Mückenschwärme tanzten dort in einer gelungeneren Umsetzung mozartscher Musik. Pete hielt sie zurück. »Sollten wir nicht deine Mutter fragen, ob sie mit uns essen will?«
    »Mutter? Sie ist eine begeisterte Vegetarierin. Hat eine Anlage zur Zelluloseverarbeitung im Keller, die aus Grünzeug Proteine und Mineralstoffe gewinnt. Und wenn ihr nach Cordon bleu ist, kocht sie Seetang.«
    »Ich erinnere mich nicht, daß sie früher Vegetarierin war.«
    »Das kam vor fünf Jahren oder so über sie. Ungefähr zur gleichen Zeit, als sie die Hoffnung aufgab, daß Vater zu uns ziehen würde.«
    Sie brach ab, schaute zu Boden. »Tut mir leid, wenn ich es so erzähle, hört es sich schrecklich albern an. Aber sie erlebte diese plötzliche Konversion. Jemand anders hätte sich vielleicht der Religion zugewandt.«
    Nicht albern, dachte Pete. Nur traurig. »Ich muß sagen, es scheint ihr sehr gut zu bekommen.«
    »Ja. Vorher wurde sie immer fetter.«
    Alles richtig gemacht? Das meiste, vielleicht. Aber nicht, wo es sie selbst betraf.
    Sie gingen weiter um das Haus und betraten es durch Graces Eingang. Ihr Teil war ein Gästeflügel mit eigenem Treppenhaus gewesen. Die einzigen notwendigen Umbauten waren eine Trennwand in den Repräsentationsräumen des Erdgeschoßes und die Einrichtung einer kleinen modernen Küche. Die großen Glastüren des Wohnraumes öffneten sich auf eine Terrasse über den Felsen der Steilküste. Ein Schwarm kleiner Segelboote kreuzte in der goldenen Bahn der untergehenden Sonne. Grace lehnte neben ihm an der breiten Steinbalustrade der Terrasse und schob den Arm um seine Taille.
    »Da sind wir also, Pete.«
    »Da sind wir.«
    »Zuerst das Essen, denke ich.«
    »Zuerst das Essen.«
    »Sex später?«
    »Sex später.«
    Und beides hatte keine große Eile.
    Er bot ihr eine Zigarette an, und sie saßen eine Weile und sahen die Dämmerung über Land und Meer. Fledermäuse gaukelten unter dem opalfarbenen Himmel. Lichtpunkte wie Stecknadelköpfe gingen jenseits der Bucht an, flimmerten wie Leuchtkäfer. Ihr Gespräch war ruhig, mit langen Pausen, der Abendstimmung angemessen. Im Ganzen war ihnen das Wenige, was sie voneinander wußten, genug.
    »Mußt du wirklich in die Stadt zurück, Pete?«
    Dort, in diesem Augenblick, schien es unvorstellbar. Er dachte über ihre Frage nach. Die Stadt warf ihm ein Spiegelbild zurück: die Landzunge war einfach.
    »Man muß wissen, wer man ist«, sagte er.
    Sie wand eine lange Haarsträhne um ihren Finger. »Oder nicht danach fragen.«
    Seine Gedanken waren in die gleiche Richtung gegangen. Sprach sie von sich selbst? Nach einer Kindheit mit Alice, die das meiste richtig machte? War solche Gewißheit möglich?
    Er sagte: »Vielleicht ist es ein Fehler, Kinder zu lieben.« Nein, dachte er, das Wort ›lieben‹ war falsch. Emma war ein Beweis dafür. Emma war geliebt worden, wurde noch immer geliebt.
    Und Emma hatte Gewißheiten.
    ›Kannibalismus an Kindern‹ hätte er sagen sollen.
    Grace schwieg eine lange Weile. Dann sagte sie: »Ich hatte Glück. Sie schickte mich nach Frankreich. Ich war noch jung genug, und ich fand dort einen, der mich lehrte.«
    In der Tat ein Glücksfall. Er vervollständigte das Bild. Manche Leute waren so, konnten das Geschenk der Ganzheit zurücklassen. Vielleicht konnte Grace es jetzt auch.
    Der Himmel dunkelte, löste sich auf, die Sterne funkelten in seiner gewaltigen Leere. Die See war schwarz, unsichtbar, murmelte leise um die Felsen.
    Grace stand auf. »Das Essen«, sagte sie. »Bleib du hier! Ich werde dich rufen.«
    Er ließ sie gehen. Das Stück vom domestizierten Mann konnte wörtlich genommen werden. Außerdem war sie die Gastgeberin. Er streckte die Beine von sich, war bereits im Haus, Teil der ruhigen Aktivität hinter ihm. Ein gedeckter Tisch, helle Farben, Töpfe die zu tragen waren, eine Weinflasche zu öffnen, Leute. Die Nacht war dort draußen. Er war weitergegangen.
    Wie einfach es war. Sie rief ihn herein. Kein Aufhebens, kein großes Fest. Zwei Leute, die ein gutes Essen miteinander teilten. Die ein schönes Zimmer, Gelächter, Geplauder miteinander teilten, weder allzu witzig noch allzu langweilig, eine sanfte Brise durch die offenen Fenster, die den besonderen Nachtgeruch der See hereintrug. Sie teilten sich einander mit. Nachher spielte Grace ein paar Bänder – frei assoziierende Musik, Radiophonie, Schlager, alles mögliche … Und noch immer keine große Eile. Während das Band noch lief, gingen sie aus

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