SdG 04 - Die eisige Zeit
einen.«
In voller Rüstung – bis hin zu den Handschuhen – stand Schild-Amboss Itkovian am Tor zu den Truppenquartieren; das Visier seines Helms hatte er geöffnet, die Wangenschützer jedoch an ihrem Platz belassen. Vor hundert Herzschlägen war der erste Glockenschlag des Nachmittags erklungen. Die anderen kamen zu spät, doch das war nichts Neues; genauso wenig wie Itkovians Pünktlichkeit. Er hatte sich längst daran gewöhnt, auf Brukhalian und Karnadas zu warten, und es sah so aus, als hielten die beiden Barghast, die mit ihnen zu dem Treffen gehen würden, ebenso wenig von Pünktlichkeit.
Der Maskenrat würde sie angesichts dieser scheinbaren Beleidigung vor Wut kochend empfangen – und das nicht zum ersten Mal.
Die Verachtung beruht leider auf Gegenseitigkeit. Die Gesprächsbereitschaft hat deutlich nachgelassen. In einer solchen Situation kann niemand gewinnen. Und der arme Fürst Jelarkan … er sitzt mitten zwischen zwei Parteien, die ihre gegenseitige Abneigung ausleben.
Der Schild-Amboss hatte den Morgen auf den Wällen von Capustan verbracht und beobachtet, wie die pannionische Belagerungsarmee wohl überlegt ihr Lager aufschlug. Er schätzte, dass Septarch Kulpath den Befehl über volle zehn Legionen Bekliten erhalten hatte, die in Rot und Gold gekleidete, mit spitzen Helmen ausgestattete reguläre Infanterie, die das Herz der Streitkräfte der Domäne darstellte; das wäre dann die Hälfte der berühmten Hunderttausend. Kulpaths Urdomen – eine Elitetruppe schwerer Infanterie – zählten mindestens achttausend. Sollte es den Belagerern gelingen, eine Bresche in die Mauern zu schlagen, würden es die Urdomen sein, die in die Stadt durchbrachen. Zu diesen Streitkräften kamen noch mehrere Divisionen Hilfstruppen: Betakliten, mittelschwere Infanterie; mindestens drei Betrullid-Flügel, leichte Kavallerie; außerdem noch eine Division Desandi – Sappeure und Ingenieure – und Scalandi-Plänkler. Alles in allem vielleicht achtzigtausend Soldaten.
Jenseits des beeindruckend organisierten Lagers der Armee des Septarchen wimmelte das dahinterliegende Gelände vom Flussufer im Süden bis zu den Kieselstränden der Küste im Osten von Menschen – das Heer der Tenescowri, die Bauernarmee mit ihren zerzausten Weibern des Toten Samens und ihren kreischenden, barbarischen Nachkommen; die Aasfressertrupps, die auf die Schwachen und Alten ihrer eigenen Art Jagd machten, und bald schon auf die der unglücklichen Bürger von Capustan. Eine hungernde Horde, und ihr Anblick ließ die professionelle Gleichgültigkeit zerbröckeln, mit der Itkovian Kulpaths Legionen betrachtet hatte. Als er die Wälle verlassen hatte, war er zum ersten Mal in seinem Leben zutiefst erschüttert gewesen.
Es waren hunderttausend Tenescowri, und mit jedem Glockenschlag kamen auf überladenen Barken weitere an, und Itkovian schwankte unter den Wogen ihres spürbaren Hungers.
Die Capanthall-Soldaten des Fürsten, die die Befestigungsanlagen bemannten, waren leichenblass; sie sprachen nicht und bewegten sich kaum. Als der Schild-Amboss auf den Wällen angekommen war, hatte ihre Furcht ihn entsetzt; als er die Wälle wieder verließ, teilte er sie – ein kaltes Messer, das in seiner Brust steckte. Eigentlich waren die Gidrath-Kompanien in den vorgelagerten Schanzen die Glücklichen – ihr Tod stand unmittelbar bevor, und sie würden unter den Klingen von Berufssoldaten sterben. Das Schicksal Capustans und seiner Verteidiger würde wahrscheinlich weitaus entsetzlicher sein.
Das leise Klirren von Münzenrüstungen kündete von der Ankunft der beiden Barghast. Itkovian musterte die Frau, die vorne ging. Hetan hatte ihr Gesicht mit Asche beschmiert, genau wie ihr Bruder Cafal. Sie würden ihre Trauergesichter so lange tragen, wie sie wollten, und der Schild-Amboss hatte den Verdacht, dass er nicht lange genug leben würde, um zu sehen, wie sie sie wieder abwuschen. Seihst mit grauer Asche beschmiert hat diese Frau eine Art raue Schönheit.
»Wo sind der Hügelbär und sein dürres Hündchen?«, wollte Hetan wissen.
»Feners Todbringendes Schwert und der Destriant sind gerade aus dem Gebäude hinter dir getreten, Hetan.«
Sie bleckte die Zähne. »Gut. Dann lasst uns zu den zankenden Priestern gehen.«
»Ich frage mich immer noch, warum du um diese Audienz gebeten hast, Hetan«, sagte Itkovian. »Wenn du verkünden willst, dass sämtliche Barghast-Clans hierher kommen werden, um uns zu unterstützen, ist der Maskenrat nicht
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