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SdG 05 - Der Tag des Sehers

SdG 05 - Der Tag des Sehers

Titel: SdG 05 - Der Tag des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Erikson
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genauso überrascht und bestürzt wie ich, und ich glaube ihm.«
    »Nun«, sagte Paran, »die Leute pflegen Coll zu unterschätzen. Er ist durchaus in der Lage, so etwas ganz allein einzufädeln.«
    »Du scheinst die Tragweite dessen, was sie getan haben, nicht ganz zu erfassen. Dadurch, dass sie meine Mutter entführt – «
    »Hör auf, Silberfuchs. Du hast deine Mutter ihrer Obhut übergeben. Übergeben? Nein, das triff es nicht ganz. Du hast sie ihnen überlassen. Und ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass Coll und Murillio ihre Aufgabe ernst genommen haben, dass sie der Mhybe all das Mitgefühl entgegengebracht haben, zu dem du nicht in der Lage zu sein scheinst. Betrachte die Situation doch einmal aus ihrem Blickwinkel heraus. Sie kümmern sich um sie, tagein, tagaus, sehen zu, wie sie dahinwelkt. Sie sehen auch die Tochter der Mhybe, aber nur aus der Ferne. Denn die kümmert sich nicht um ihre eigene Mutter. Sie kommen zu dem Schluss, dass sie jemanden finden müssen, der oder die in der Lage ist, der Mhybe zu helfen. Oder ihr zumindest ein würdevolles Ende zu gewähren. Jemanden entführen heißt, jemand anderem jemanden wegzunehmen. Die Mhybe ist weggenommen worden, ja – aber wem? Niemandem. Überhaupt niemandem.«
    Silberfuchs’ Gesicht war blass, und es dauerte ein paar Augenblicke, bis sie antwortete. »Du hast nicht die geringste Ahnung, was zwischen uns liegt, Ganoes.« Ihre Stimme klang rau.
    »Und du scheinst keine Ahnung davon zu haben, wie man vergibt – nicht ihr, sondern dir selbst. Schuld ist zu einer Kluft gew – «
    »Das ist wirklich großartig, ausgerechnet von dir.«
    Sein Lächeln wirkte gezwungen. »Ich habe klein beigegeben, Silberfuchs, und klettere jetzt auf der anderen Seite wieder hoch. Die Dinge haben sich für uns beide geändert.«
    »Dann hast du also deine offen erklärten Gefühle für mich aufgegeben.«
    »Ich liebe dich immer noch, aber durch deinen Tod bin ich einer Art Verblendung erlegen. Ich habe mir eingeredet, dass das, was wir beide – furchtbar kurz – miteinander hatten, weit größere und tiefere Bedeutung hatte, als es in Wirklichkeit der Fall war. Von allen Waffen, die wir gegen uns selbst richten, Silberfuchs, ist Schuld die schärfste. Sie kann die eigene Vergangenheit in nicht mehr wiederzuerkennende Fetzen zerlegen, falsche Erinnerungen, die zu falschen Überzeugungen führen, die alle möglichen fixen Ideen erzeugen.«
    »Ich bin entzückt, dass du so für klare Verhältnisse sorgst, Ganoes. Ist dir noch gar nicht in den Sinn gekommen, dass alles nur nüchtern zu untersuchen ebenfalls eine fixe Idee sein könnte? Was du sezierst, muss vorher tot sein – das ist schließlich das Prinzip des Sezierens.«
    »So hat es mir mein Lehrer erklärt«, erwiderte Paran, »vor all den Jahren. Aber du erkennst eine noch feinere Wahrheit nicht. Ich kann mich selbst und jedes meiner Gefühle untersuchen, bis der Abgrund die Welt verschlingt, und doch nie dahin kommen, meine Gefühle zu kontrollieren. Denn das sind keine statischen Dinge; und sie werden außerdem auch von der äußeren Welt beeinflusst – durch das, was andere sagen, oder was sie nicht sagen. Und so sind sie in andauernder Bewegung.«
    »Außergewöhnlich«, murmelte sie. »Hauptmann Ganoes Paran, der junge Meister der Selbstkontrolle, der Tyrann seiner selbst. Du hast dich wirklich verändert. Und zwar so sehr, dass ich dich nicht mehr wiedererkenne.«
    Er musterte ihr Gesicht, suchte nach einem Hinweis auf die Gefühle, die sich hinter diesen Worten verbargen. Doch sie hatte sich vor ihm verschlossen. »Wohingegen ich«, sagte er langsam, »dich nur allzu leicht wiedererkenne.«
    »Würdest du das als eine Ironie des Schicksals bezeichnen? Du siehst mich als die Frau, die du einmal geliebt hast, während ich dich als den Mann sehe, den ich niemals gekannt habe.«
    »Zu viele miteinander verworrene Fäden, um auf ironische Weise mit ihnen umzugehen, Silberfuchs.«
    »Nun, dann ist es vielleicht Pathos.«
    Er schaute weg. »Wir haben uns weit von unserem ursprünglichen Thema entfernt. Ich fürchte, ich kann dir nichts über das Schicksal deiner Mutter sagen. Aber ich vertraue darauf, dass Coll und Murillio alles für sie tun werden, was in ihrer Macht steht.«
    »Dann bist du sogar ein noch größerer Idiot als die beiden, Ganoes. Dadurch, dass sie sie entführt haben, haben sie ihren Untergang besiegelt.«
    »Ich wusste gar nicht, dass du so melodramatisch bist.«
    »Bin ich auch nicht

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