SdG 05 - Der Tag des Sehers
Tod eines Mannes. Die Hand, die seine hielt, wurde immer schlaffer. »Wie viele Soldaten sind noch hier? Wie viele befehlige ich noch?«
Sie zuckte zusammen. »Insgesamt noch einhundertsiebenunddreißig, Herr. Sechsundneunzig davon sind Rekruten. Von den Mähnen, die mit Euch beim Friedhof gekämpft haben, haben elf Soldaten überlebt.«
»Was ist mit unseren Unterkünften?«
»Sie sind gestürmt, Herr. Die ganze Kaserne brennt.«
»Und Jelarkans Palast?«
Sie schüttelte den Kopf. »Wir haben nichts gehört.«
Itkovian zog seine Hand langsam aus Karnadas’ schlaffem Griff und blickte auf die reglose Gestalt hinab. Er strich ihm über die strähnigen Haare. Mehrere Herzschläge verstrichen, dann brach der Schild-Amboss die Stille. »Sucht einen Sanitäter, Botin. Der Destriant ist tot.«
Sie starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an.
»Er gesellt sich zu unserem Todbringenden Schwert Brukhalian. Es ist vorbei.«
Nach diesen Worten schwang Itkovian die Beine aus dem Bett. Die Schmerzen in seinem verletzten Knie raubten ihm beinahe das Bewusstsein. Er holte einmal tief und zittrig Luft und richtete sich vorsichtig auf. »Sind noch irgendwelche Waffenschmiede übrig?«
»Ein Lehrling, Herr«, erwiderte sie nach einem kurzen Augenblick mit einer Stimme, die so brüchig war wie verbranntes Leder.
»Ich brauche eine Manschette für mein Knie, Soldatin. Irgendetwas, was er oder sie zusammenbasteln kann.«
»Ja, Herr«, flüsterte sie. »Schild-Amboss – «
Er unterbrach seine Suche nach seinem Wappenrock und warf ihr einen Blick zu. Die junge Frau war totenblass geworden.
»I-ich spreche das Dreizehnte Gesetz des Traums aus. Ich verlange … eine gerechte Bestrafung.« Sie zitterte.
»Eine Bestrafung, Soldatin? Was für ein Verbrechen habt Ihr begangen?«
»Ich habe die Botschaft überbracht. Von Rath’Feners Akolythen.« Sie taumelte bei ihren eigenen Worten zurück; ihre Rüstung klirrte, als sie mit dem Rücken gegen die Tür stieß. »Fener, vergib mir! Ich habe das Todbringende Schwert in den Tod geschickt!«
Itkovian musterte sie aus zusammengekniffenen Augen. »Ihr seid die Rekrutin, die mich und meine Flügel auf unserem letzten Ausritt in die Ebene begleitet hat. Ich bitte Euch um Entschuldigung, dass ich Euch nicht eher erkannt habe. Ich hätte damit rechnen müssen, dass die neuen … Erfahrungen, die Ihr mittlerweile gemacht habt, Euch so klar im Gesicht geschrieben stehen. Ich verweigere Euch die Berufung auf den Traum, Soldatin. Nein, sucht einen Sanitäter und diesen Waffenschmied-Lehrling.«
»Aber Herr – «
»Brukhalian wurde nicht getäuscht. Versteht Ihr? Darüber hinaus beweist Eure Anwesenheit hier Eure Unschuld in dieser Angelegenheit. Wärt Ihr an dem Verrat beteiligt gewesen, hättet Ihr auf seinen Befehl hin mit ihm reiten müssen. Und man wäre so mit Euch verfahren, wie Ihr es verdient hättet. Und jetzt geht. Wir können nicht viel länger hier bleiben.«
Ohne auf die Tränen zu achten, die ihr nun über das dreckverschmierte Gesicht rannen, humpelte der Schild-Amboss langsam auf einen Haufen ausrangierter Rüstungsteile zu. Einen Augenblick später drehte sie sich um, riss die Tür auf und floh hinaus auf den Korridor.
Itkovian unterbrach sein Gehumpel. Er warf den schlafenden Feldschern einen kurzen Blick zu. »Ich bin der Träger von Feners Kummer«, intonierte er im Flüsterton. »Ich bin mein Fleisch gewordener Schwur. Jetzt, und in allem, was folgt. Wir sind noch nicht am Ende. Ich bin noch nicht am Ende. Siehe, ich weiche nichts und niemandem.« Er streckte sich, das Gesicht wieder ausdruckslos. Seine Schmerzen ließen nach. Bald würden sie bedeutungslos sein.
Einhundertsiebenundreißig Gesichter blickten den Schild-Amboss an; Durch den strömenden Regen betrachtete er sie im Gegenzug, wie sie in Reih und Glied auf der dunklen Straße standen. Zwei Schlachtrosse waren noch übrig; sein eigenes – die Brustwunde eine rote Strieme, doch das Feuer in seinen Augen war nicht schwächer geworden – und Brukhalians schwarzes Streitross. Die Botin hielt ihre Zügel.
Streifen von einem gebänderten Kürass waren an beiden Seiten von Itkovians verletztem Knie festgebunden worden. Sie waren biegsam genug, dass er mit ihnen reiten und gehen konnte, gaben ihm im Stehen jedoch spürbar Halt. Die Risse in seinem Kettenhemd waren mit Kupferdraht geflickt worden; das Gewicht der Rüstung spürte er nur auf seinem linken Arm – er hatte wenig Kraft darin, und die Haut
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