SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
gezwungenermaßen zum Dieb geworden. Er hatte nicht auf der Straße gelebt, hatte nicht gehungert, hatte auch nicht unter anderen grausameren Umständen gelitten. Er hatte nur aus Spaß an der Sache gestohlen – und weil er gut darin war. Eine Zukunft als Meisterdieb war ihm als ein erstrebenswertes Ziel erschienen, einen Unterschied zwischen berüchtigt sein und geachtet werden hatte es für ihn nicht gegeben.
Doch jetzt versuchte Apsalar ihm zu sagen, dass die Fähigkeit, etwas tun zu können, keine Rechtfertigung darstellte. Dass sie ihren eigenen Weg ging, weil sie musste, und dass darin keine Tugend lag.
Er stellte fest, dass er auf subtile Art einen Kampf mit ihr ausfocht, in dem die Waffen Schweigen und verschleierte Worte waren.
Er grunzte an den Rudern. Das Meer wurde allmählich kabbelig. »Nun, ich hoffe, dass du Recht hast«, sagte er. »Wir könnten ein bisschen Schutz gebrauchen … obwohl … nach allem, was das Seil gesagt hat, dürfte unter den Bewohnern von Drift Avalii Ärger herrschen.«
»Tiste Andii«, sagte Apsalar. »Anomander Rakes Leute. Er hat sie hier angesiedelt, um den Thron zu bewachen.«
»Kannst du dich daran erinnern, dass Tanzer – oder Cotillion – mit ihnen gesprochen hat?«
Ein schneller Blick flackerte aus ihren dunklen Augen zu ihm hinüber, dann schaute sie weg. »Es war ein kurzes Gespräch. Diese Tiste Andii haben viel zu lange abgeschieden gelebt. Ihr Herr hat sie zurückgelassen und ist niemals zurückgekehrt.«
»Niemals?«
»Es gibt … Schwierigkeiten. Das Ufer dort heißt uns nicht gerade willkommen – sieh selbst.«
Er zog die Ruder ein und drehte sich um.
Die Küstenlinie bestand aus stumpfem grauem Sandstein, den die Wogen aufgefaltet und zu Riffen geformt hatten. »Nun, wir können ohne große Schwierigkeiten dicht heran, aber ich sehe, was du meinst. Es gibt keine Möglichkeit, das Boot irgendwo hochzuziehen, und wenn wir es anbinden, besteht die Gefahr, dass es von der Brandung zerschmettert wird. Irgendwelche Ideen?«
Der Sturm – oder die Insel – holte Luft und zupfte am Segel. Sie näherten sich rasch der felsigen Küste.
Das Grollen am Himmel klang jetzt näher, und Schlitzer konnte die schwankenden Baumwipfel sehen, die darauf hindeuteten, dass ein hoher, scharfer Wind aufgekommen war, der die Wolken über der Insel zu langen, sich windenden Fühlern auseinander zog.
»Ich habe keine Idee«, sagte Apsalar schließlich. »Außerdem müssen wir uns noch über etwas anderes Gedanken machen – Strömungen.«
Jetzt konnte auch er es sehen: Die Insel trieb in der Tat dahin, sie war nicht am Meeresboden verankert. Strudel schäumten um den Sandstein. Das Wasser wurde darunter gesogen und wieder zurückgeworfen, überall entlang der Küstenlinie brodelte es. »Beru schütze uns«, murmelte Schlitzer. »Das wird nicht einfach.« Er kroch zum Bug.
Apsalar lenkte das Boot auf einen Kurs parallel zum Ufer. »Such nach einer Felsplatte, die nicht allzu hoch über der Wasseroberfläche liegt«, rief sie. »Dann schaffen wir es vielleicht, das Boot hinaufzuziehen.«
Schlitzer sagte nichts zu ihrem Vorschlag. Man brauchte vier oder mehr starke Männer, um das zu schaffen … aber zumindest würden wir so heil ans Ufer kommen. Die Strömungen zerrten am Rumpf des Bootes, warfen es von einer Seite zur anderen. Ein Blick nach hinten zeigte ihm, dass Apsalar darum kämpfte, die Ruderpinne gerade zu halten.
Der stumpfe graue Sandstein enthüllte in seinen zahllosen Kanten und Variationen die Geschichte sich unaufhörlich verändernder Wasserstände. Schlitzer hatte keine Ahnung, wie es möglich war, dass eine Insel schwimmen konnte. Wenn Zauberei dafür verantwortlich war, musste ihre Macht gewaltig sein – aber dennoch war sie anscheinend alles andere als perfekt.
»Da!«, rief er plötzlich und deutete auf eine Stelle vor ihm, wo das wellige Ufer zu einem flachen Streifen abfiel, der kaum eine Handbreit über dem brodelnden Wasser lag.
»Mach dich bereit«, wies Apsalar ihn an, die sich halb von ihrem Platz erhoben hatte.
Schlitzer stellte sich mühselig längsseits des Bugs auf, eine Seilrolle in der Hand, und bereitete sich darauf vor, auf die Platte zu springen. Als sie näher herankamen, konnte er sehen, dass der Steinsims dünn und tief unterhöhlt war.
Sie langten rasch dort an, und Schlitzer sprang.
Er landete breitbeinig, ging in die Hocke.
Er hörte ein scharfes Knacken, als der Stein unter seinen Füßen wegsackte. Kaltes Wasser
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