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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Lachen, wie aus großer Entfernung, und es kam immer zum völlig falschen Zeitpunkt.
    Rhulads Zelt stand im Zentrum des Lagers; der Eingang wurde von Dämonen in Rüstungen aus gegerbtem, mit schwarzen Flecken übersätem Leder flankiert, deren langschäftige Keulen auf dem Boden vor ihnen ruhten. Vollvisierhelme verbargen ihre Gesichter.
    »Na, wie viele Leichen haben sie heute herausgezogen?«, fragte Udinaas, als er zwischen ihnen hindurchging.
    Er erhielt keine Antwort.
    Das Zeltinnere war in vier Bereiche aufgeteilt, die jeweils durch dicke, an frei stehenden Bronzerahmen befestigte Stoffbahnen voneinander getrennt wurden. Der vorderste Raum war nicht sehr tief, doch er erstreckte sich über die gesamte Breite des Zelts. Bänke waren entlang der Zeltwände aufgestellt worden. Der Bereich rechts vom Eingang war mit Vorräten verschiedenster Art voll gestopft – Fässern, Kisten und Tongefäßen. Zwischen zwei Trennwänden befand sich der Durchgang in den weiter hinten liegenden Hauptraum.
    Udinaas betrat den Hauptraum und sah den Imperator vor seinem Thron stehen. Links des hölzernen Podests räkelte sich Mayen auf einer erbeuteten Liege; ihr Gesichtsausdruck wirkte merkwürdig teilnahmslos. Federhexe stand an der Wand hinter der Imperatrix im Schatten, das Gesicht so grün und blau geschlagen und geschwollen, dass sie kaum noch zu erkennen war. Hannan Mosag und Hull Beddict standen vor dem Imperator, wandten ihm die Gesichter zu, so dass Udinaas nur ihre Rücken sehen konnte. Hannan Mosags gespenstischer Leibwächter war nicht zugegen.
    Hannan Mosag sprach gerade. »… daran gibt es keinen Zweifel, Höherer.«
    Ein paar Münzen hatten sich von Rhulads Stirn gelöst – dort, wo ihn die Hand des Soldaten getroffen hatte … bei jenem Schlag, der ihm das Genick gebrochen hatte. Die Haut, die dadurch sichtbar wurde, war ein einziges Narbengewebe und wirkte dort, wo der Schädelknochen eingedellt worden war, zerknittert. Der innerliche Schaden war geheilt, denn die Delle war wieder verschwunden. Die Augen des Imperators waren so blutunterlaufen, dass sie wie trübe, rote Teiche aussahen. Er musterte Hannan Mosag einen Moment lang und war sich dabei anscheinend des Zuckens nicht bewusst, das über seine verwüsteten Gesichtszüge lief, dann sagte er: »Verlorene Verwandte? Was soll das heißen?«
    »Tiste Edur«, erwiderte Hannan Mosag mit seiner sanften Stimme. »Überlebende aus jener Zeit, da unser Volk nach dem Verlust Scabandari Blutauges zerstreut wurde.«
    »Wie kannst du dir dessen sicher sein?«
    »Ich habe von ihnen geträumt, Imperator. In Gedanken bin ich in andere Sphären geführt worden, andere Welten, die neben dieser Welt liegen –«
    »Kurald Emurlahn.«
    »Jene Sphäre ist in viele kleine Stücke zerbrochen«, sagte Hannan Mosag, »aber – ja, ich habe solche Teilwelten gesehen. In einer dieser Welten hausen die Kenyll`rah, die Dämonen, die wir an uns gebunden haben. In einer anderen gibt es Geister unserer früheren Schlachten.«
    Hull Beddict räusperte sich. »Hexenkönig, sind diese Sphären das, was mein Volk Festen nennt?«
    »Vielleicht. Ich glaube es aber nicht.«
    »Das ist unwichtig«, sagte Rhulad, während er auf und ab zu gehen begann. »Hannan Mosag, wie geht es diesen verlorenen Verwandten?«
    »Schlecht, Höherer. Einige haben jegliche Erinnerung an vergangene Größe verloren. Andere sind unterjocht –«
    Der Imperator fuhr herum. »Unterjocht?«
    »Ja.«
    »Wir müssen sie befreien«, sagte Rhulad und setzte sich wieder in Bewegung. Das makabre Klicken, mit dem die Ränder der Münzen aneinander stießen, war das einzige Geräusch, das auf seine Ankündigung folgte.
    Udinaas begab sich unauffällig hinter den Thron. Seiner Meinung nach lag etwas Erbämliches in der Leichtigkeit, mit der der Hexenkönig Rhulad beeinflusste. Schließlich verbarg sich unter all den Münzen und hinter dem fleckigen Schwert ein verletzter, zerbrechlicher Junge. Hannan Mosag mochte angesichts von Rhulads Macht den Thron übergeben haben, doch seinen Drang, zu herrschen, würde er nicht aufgeben.
    »Wir werden Schiffe bauen«, nahm der Imperator nach einiger Zeit den Faden wieder auf. »Ich schlage vor, im Stil der Letherii. Große, seetüchtige Schiffe. Du hast gesagt, es gäbe auch Enklaven mit Tiste Andii? Wir werden diese Enklaven erobern, die Andii versklaven und unsere Schiffe mit ihnen bemannen. Sobald Lether gefallen ist und wir unser Imperium errungen haben, werden wir uns auf diese

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