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SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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man sagen muss – mein Schicksal abhängt. Oder genauer abhing. Was das angeht, unterscheide ich mich nicht von meinem Gegenstück, der Ersten Konkubine. Wir waren schließlich in erster Linie Symbole. Und dementsprechend haben wir uns verhalten.«
    »Und jetzt stellt Ihr fest, dass Ihr keine Rolle mehr habt«, sagte Brys.
    »Ich stelle fest, dass ich jetzt noch viel objektiver beobachte, als ich es zuvor jemals getan habe, Finadd.«
    »Und was bringt Euch das?«
    »Ja, das ist die entscheidende Frage, stimmt’s? Es ist überflüssig. Vollkommen überflüssig. Ich hatte ganz vergessen, wie sich diese Art von Freiheit anfühlt. Euch ist natürlich klar, dass die Tiste Edur dieses Königreich erobern werden, oder?«
    »Unsere Streitkräfte waren bisher getrennt, Erster Galan.«
    »Das waren ihre auch, Finadd.«
    Brys musterte den Mann, der da vor ihm stand, und er fragte sich, was an ihm denn nun so merkwürdig war – dieses unbestimmt gleichgültige Gehabe oder … was sonst? »Warum hat sie diesen Krieg gewollt, Turudal Brizad?«
    Er zuckte die Schultern. »Das Motiv der Letherii war, ist und wird immer das gleiche sein: Reichtum. Eroberung als eine Gelegenheit. Eine Gelegenheit als Herausforderung. Eine Herausforderung als rechtmäßiger Anspruch. Ein rechtmäßiger Anspruch als vorherbestimmt, als Bestimmung.« Etwas Dunkles glitzerte in seinen Augen. »Bestimmung als Sieg, Sieg als Eroberung, Eroberung als Reichtum. Aber nirgends in dieser perfekten Kette werdet Ihr die Vorstellung einer Niederlage finden. Alle Fehlschläge sind zeitweilig, sind einzelne Fehler. Bereinigt diese einzelnen Fehler, und das nächste Mal werdet Ihr einen Sieg erringen.«
    »Bis es zu einer Situation kommt, in der es keine zweite Gelegenheit gibt.«
    »Dann werden sich künftige Gelehrte jeden einzelnen Augenblick dieser Tage genauestens ansehen, werden Listen mit diesen einzelnen Fehlern zusammenstellen, den Besonderheiten, die nicht verallgemeinert werden und die ursprüngliche Annahme daher auch nicht bedrohen können. Es ist tatsächlich ein hervorragendes, alles bestimmendes Muster, ein perfekter Mechanismus, der sicherstellt, dass ein ganzer Haufen schrecklicher, brutaler Überzeugungen überlebt.«
    »Es scheint, als hättet Ihr tatsächlich Objektivität erlangt, Turudal Brizad.«
    »Wisst Ihr, warum das Erste Imperium zusammengebrochen ist, Brys Beddict? Ich meine jetzt nicht die überarbeitete Version, die die Erzieher den Kindern erzählen – ich meine die wahre Geschichte. Unsere Vorfahren haben sich selbst ausgelöscht. Durch ein Ritual, das außer Kontrolle geraten ist, haben sie ihre eigene Zivilisation in Stücke gerissen. Natürlich wurden in unserer Version diejenigen, die danach kamen, um die Reste zusammenzufegen, in Angreifer verwandelt, in die von außen kommende Kraft, die so viel Zerstörung angerichtet hat, dass sie das Erste Imperium auslöschte. Und hier gleich noch eine Wahrheit: unsere Kolonien waren für die Folgen jenes unbeschränkten Rituals ebenfalls empfänglich. Auch wenn es uns gelungen ist, die Bastarde so weit wie möglich zu vertreiben – bis in die eisigen Einöden. Wo – wie wir gehofft hatten – die Scheißkerle aussterben würden. Leider haben sie das nicht getan. Und jetzt, Brys Beddict – jetzt kommen sie zurück.«
    »Wer? Die Tiste Edur? Wir haben nichts mit ihnen gemein, Turudal –«
    »Ich meine nicht die Tiste Edur, wenn auch ein großer Teil ihrer Geschichte – besonders der Weg, den ihre Zauberei genommen hat – eng mit den Folgen der Katastrophe verbunden ist, die über das Erste Imperium hereingebrochen war. Nein, Finadd, ich spreche von ihren Verbündeten, den Wilden aus den eisigen Einöden, den Jheck.«
    »Eine interessante Geschichte«, sagte Brys nach einem Augenblick, »aber ich fürchte, ich kann ihre Bedeutung nicht so recht erschließen.«
    »Ich biete nur eine Erklärung«, sagte der Erste Galan. Er stieß sich von der Säule ab und schritt an Brys vorbei.
    »Wofür?«
    Ohne sich umzudrehen, entgegnete Turudal: »Für das bevorstehende Versagen meiner Objektivität, Finadd.«
     
    Als Moroch Nevath sich dem Stadttor näherte, gönnte er seinem schäumenden Pferd eine langsamere Gangart. Das Durcheinander aus Hütten und Scheunen, das sich einst beidseits der erhöhten Straße ausgebreitet hatte, war dem Erdboden gleichgemacht worden; nur Schlamm, Tonscherben und ein paar Holzstücke waren zurückgeblieben. Ein paar Flecken an den Stadtmauern waren das Einzige,

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