Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SdG 09 - Gezeiten der Nacht

SdG 09 - Gezeiten der Nacht

Titel: SdG 09 - Gezeiten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
Vom Netzwerk:
dessen war Udinaas sich sicher; Gedanken, die an den Wurzeln nagten und wie blasse Würmer durch seine brandige Seele krochen. All dem glänzenden Gold zum Trotz war das Fleisch darunter verzerrt und mit Narben durchzogen. Um die Fassade zu erschaffen, war alles, was darunter lag, verformt worden.
    Der Sklave registrierte all das in der kurzen Zeitspanne von Rhulads Zucken, ohne eine Miene zu verziehen. Sein Blick wanderte zu Mayen, doch sie gab nichts preis, nicht einmal, ob sie die plötzliche Not ihres Mannes bemerkt hatte.
    Über Hannan Mosags Gesicht hingegen glitt – wie Udinaas sah – rasch ein furchtsamer Ausdruck, der schnell wieder unter einer ausdruckslosen Maske verborgen wurde.
    Udinaas dachte einen Moment nach und glaubte dann, diese Reaktion zu verstehen. Hannan Mosag brauchte einen Imperator, der geistig gesund war und sich unter Kontrolle hatte. Selbst unverhüllte Macht hätte ihn nicht zwingen können, vor einem Wahnsinnigen niederzuknien. Vermutlich begriff der ehemalige Hexenkönig auch, dass in Rhulads Innern ein Kampf tobte, und er hatte sich entschlossen, der vernünftigen Seite des Imperators jede Hilfe zu gewähren, die er ihr geben konnte.
    Doch was, wenn der Kampf verloren ging, wenn Rhulad vollständig dem Wahnsinn anheim fiel – was würde Hannan Mosag dann tun?
    Der Blick des Letheriisklaven wanderte zu dem Schwert, das der Imperator wie ein Zepter in seiner Rechten hielt – die Spitze in der Nähe des verzierten Thronfußes auf dem Podest aufgestellt. Die Antwort liegt in dem Schwert da verborgen, und Hannan Mosag weiß viel mehr über diese Waffe – und ihren Schöpfer –, als er enthüllt hat.
    Ich allerdings auch. Verblichener, jenes Schattengespenst, das Udinaas adoptiert hatte, hatte ihm so manches zugeflüstert. Die Macht des Schwertes hatte Rhulad die Herrschaft über die Gespenster verliehen. Über die Geister der Tiste Andii.
    Verblichener hatte sich dem Ruf irgendwie entzogen, wobei er seinen Sieg mit einem melodramatischen In-sich-Hineinlachen verkündet hatte, das durch den Kopf des Sklaven gebrandet war, und jetzt tanzte die Präsenz des Gespensts übertrieben fröhlich durch den Geist des Letherii. Und sah alles durch seine Augen.
    »Imperator«, sagte Hannan Mosag, sobald sich Rhulad wieder gefangen hatte, »die Hexer der Arapay –«
    »Ja. Man darf sich ihnen nicht widersetzen. Sie müssen willkommen geheißen werden.«
    »Und was ist mit den Nerek des Kaufmanns, auf die du Anspruch erhoben hast?«
    »Das erfordert eine andere Überlegung.« Ganz kurz zeigte sich ein Anflug von Unbehagen in Rhulads dunklen Augen. »Sie dürfen nicht gestört werden. Sie müssen respektiert werden.«
    »Ihr Herd und der umliegende Bereich wurden geweiht«, sagte Hannan Mosag nickend. »Das muss natürlich respektiert werden. Aber ich hatte nicht das Gefühl, als hätte dieser Segen viel Macht besessen.«
    »Lass dich dadurch nicht täuschen. Die Geister, die sie verehren, sind die ältesten, die diese Welt je gesehen hat. Diese Geister manifestieren sich nicht auf eine Weise, die wir leicht erkennen könnten.«
    »Oh. Imperator, du wurdest mit Wissen beschenkt, das ich nicht besitze.«
    »Ja, Hannan Mosag, das wurde ich. Wir müssen vorsichtig mit den Nerek umgehen. Ich möchte nicht mit ansehen müssen, wie jene Geister sich erheben.«
    Der ehemalige Hexenkönig runzelte die Stirn. »Die Zauberer der Letherii hatten wenig Probleme, die Macht jener Geister unwirksam zu machen – ja, sie sogar auszulöschen. Sonst wären die Nerek nicht so schnell zusammengebrochen.«
    »Die Schwäche, die die Letherii ausgenutzt haben, lag in den sterblichen Nerek, nicht in den Geistern, die sie verehren. Hannan Mosag, wir glauben mittlerweile, dass die Eres’al gar nicht aufgeweckt wurde. Sie hat sich nicht erhoben, um jene zu verteidigen, die sie verehren.«
    »Doch nun hat sich etwas geändert.«
    Rhulad nickte. »Ja, das hat es.« Er warf Mayen einen Blick zu. »Und es hat mit dem Segen begonnen, den diejenige Edur erteilt hat, die jetzt mein Weib ist.«
    Sie zuckte zusammen und versuchte, sowohl Rhulads wie Hannan Mosags Blick auszuweichen.
    Der Imperator zuckte die Schultern. »Es ist geschehen. Müssen wir beunruhigt sein? Nein. Noch nicht. Vielleicht niemals. Nichtsdestotrotz sollten wir weiter vorsichtig sein.«
    Udinaas unterdrückte den Drang zu lachen. Hier ging es um eine Vorsicht, die sich auf Furcht gründete. Die Vorstellung, dass der Imperator der Tiste Edur noch immer von

Weitere Kostenlose Bücher