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SdG 12 - Der Goldene Herrscher

SdG 12 - Der Goldene Herrscher

Titel: SdG 12 - Der Goldene Herrscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Gewissheit zu Asche, dann biete ihnen eine gleichermaßen sichere andere Sichtweise auf die Welt. Sie werden ihre Arme über den Abgrund recken, ganz egal, wie groß er auch sein mag, und sich mit aller Kraft an dir festhalten. Nein, diejenigen voller Gewissheit sind nicht unsere Feinde. Gegenwärtig irregeleitet, wie es bei dem Mann da unten der Fall ist, aber immer höchst anfällig für Ängste. Nimm ihnen den Trost ihrer alten Überzeugungen, und beschwatze sie dann mit scheinbar triftigen und annehmbaren neuen Überzeugungen, die du dir selbst ausgedacht hast. Es ist unumgänglich, dass sie sich diese Überzeugungen schließlich zu eigen machen werden.«
    »Ich verstehe.«
    »Tanal Yathvanar, unsere größten Feinde sind diejenigen, die keine Gewissheit haben. Diejenigen mit Fragen. Diejenigen, die unseren ordentlichen Antworten mit unauslöschlicher Skepsis begegnen. Diese Fragen bestürmen uns, unterminieren uns. Sie … wiegeln auf. Du musst verstehen, dass diese gefährlichen Bürger begriffen haben, dass nichts einfach ist; ihre Haltung ist das genaue Gegenteil von Naivität. Die Ambivalenz, die sie zu Gesicht bekommen, macht sie demütig, und sie widersetzen sich trotzig unseren einfachen, tröstenden Versicherungen, dass es Klarheit gibt, dass die Welt schwarz und weiß ist. Wenn du solche Bürger aufs Schwerste beleidigen willst, Yathvanar, dann nenne sie naiv. Sie werden aufgebracht sein, ja, sie werden praktisch sprachlos sein … bis du siehst, wie ihr Verstand eine Kehrtwendung macht - was durch eine Kaskade von Gesichtsausdrücken deutlich wird, während sie sich fragen: Wer ist der Kerl, der mich naiv nennt? Nun, lautet die Antwort, ganz offensichtlich eine Person, die über Gewissheit verfügt, mit all der Arroganz und Anmaßung, die diese Position nach sich zieht; eine Überzeugung also, die ein rasches Urteil erlaubt, eine höhnische Abweisung aus einer besonders stolzen Höhe. Und all dies wird in den Augen deines Opfers das Licht der Erkenntnis aufleuchten lassen, dass es seinem Feind gegenübersteht, seinem wahrhaftigsten Feind - und das bist du. Und dein Gegenüber wird Furcht kennenlernen. Ja, genauer gesagt, Entsetzen.«
    »Ihr fordert damit eine Frage heraus, Beaufsichtiger …«
    Karos Invictad lächelte. »Ob ich Gewissheit besitze? Oder ob ich in Wirklichkeit von Fragen und Zweifeln geplagt werde, in den wilden Strömungen der Komplexität zappele?« Er schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort: »Ich beschränke mich auf eine einzige Gewissheit. Macht formt das Angesicht der Welt. Macht an sich ist weder gut noch böse, sie ist einfach nur ein Werkzeug, mit dessen Hilfe derjenige, der über sie verfügt - gleichgültig, ob Mann oder Frau -, alles um ihn oder sie herum formt - und zwar auf eine Weise, die seinem oder ihrem Wohlergehen dient. Natürlich bedeutet Macht auszuüben, sich als Tyrann zu gebärden, was man höchst unauffällig und sanft oder grausam und hart tun kann. Die Ausübung von Macht wiederum - egal, ob politische oder familiäre Macht -, birgt immer die Gefahr der Zwangsherrschaft. Gegen all jene, die Widerstand leisten. Und merke dir eins: Wenn eine Zwangsherrschaft möglich ist, dann wird sie auch ausgeübt werden.« Er deutete auf den Gefangenen. »Hör dem Mann da unten zu. Er nimmt mir meine Arbeit ab. Unten in den Verliesen hören seine Zellengenossen seine Raserei, und einige von ihnen stimmen ein - die Wachen achten darauf, wer, und die Liste, die dadurch entsteht, gehe ich täglich durch, denn das sind diejenigen, die ich auf meine Seite ziehen kann. Diejenigen, die nichts sagen, die sich abwenden - nun, das sind diejenigen, die sterben müssen.«
    »Und daher«, sagte Tanal, »lassen wir ihn schreien.«
    »Ja. Die Ironie an der ganzen Sache ist, dass er tatsächlich naiv ist - aber natürlich nicht so, wie du es ursprünglich gemeint hast. Seine allzu große Gewissheit verweist überdeutlich auf seine unbekümmerte Unwissenheit. Es ist darüberhinaus eine weitere Ironie, dass sich bei den beiden Extremen des politischen Spektrums eine Annäherung hinsichtlich der Mittel und Methoden, ja der ganzen Haltung ihrer jeweiligen Anhänger ausmachen lässt - ihre Grausamkeit gegenüber Schwarzsehern, das Blut, das sie so bereitwillig für ihre Sache vergießen, um ihre Version der Wirklichkeit zu verteidigen. Der Hass, den sie all denen entgegenbringen, die Zweifel äußern. Skepsis verschleiert schließlich Verachtung, und von jemandem verachtet zu werden, dem

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