SdG 12 - Der Goldene Herrscher
»er ist klein für einen Capabara - erinnert Ihr Euch an denjenigen, der sich mit einer Galeere paaren wollte?«
»Die Wetten auf das Ergebnis haben die Tauchtage übertreffen. An jenem Tag habe ich alles verloren, was ich hatte.«
»Alles?«
»Drei Kupferstummel, ja.«
»Was für ein Ergebnis hattet Ihr erwartet?«
»Nun, natürlich kleine Ruderboote, die sich mit ihren Flossen selbst rudern können.«
»Ihr kommt zu spät zu Eurer Verabredung, Herr.«
»Warte! Schau nicht her! Ich muss mal eben etwas Ungehöriges tun.«
»Ach, Herr - also wirklich …«
Spione standen an Straßenecken. Kleine Trupps aus Patriotisten in grauen Regenumhängen bewegten sich durch die Menschenmenge, die sich teilte, um ihnen Platz zu machen, während sie heranstolzierten, die behandschuhten Hände auf die Knüppel an ihren Gürteln gelegt, in ihren Gesichtern die Arroganz von Schlägern. Tehol Beddict, der seine Decke wie einen Sarong trug, schritt mit der milden Anmut eines Asketen irgendeines unbekannten, aber harmlosen Kults dahin. Zumindest hoffte er das. Sich in diesen Tagen auf die Straßen Letheras’ zu wagen bedeutete, ein gewisses Maß an Risiko einzugehen, das in den Tagen von König Ezgaras wohltuender Nachlässigkeit nicht existiert hatte. Während dies einerseits jedem Gang - und dazu gehörte auch das Einkaufen von überreifen Hackfrüchten - eine Aura von Intrige und Gefahr verlieh, war da andererseits die nervliche Anspannung, die sich nicht ganz bezwingen ließ, ganz egal, wie viele schimmelige Weiße Rüben man auch zufällig mit sich herumtrug.
Dass er in diesem Fall tatsächlich auf Umsturz aus war, verschlimmerte die Angelegenheit natürlich. Eines der ersten Opfer des neuen Regimes war die Rattenfängergilde gewesen. Karos Invictad, det Beaufsichtiger der Patriotisten, hatte gleich am ersten Tag seiner Amtseinführung gehandelt und eine volle Hundertschaft Agenten zum Schuppenhaus geschickt, dem bescheidenen Hauptquartier der Gilde, wo besagte Agenten dann Dutzende von Rattenfängern verhaftet hatten, die sich später allesamt als Illusionen herausstellten - eine Kleinigkeit, die natürlich nicht groß herausposaunt wurde, damit die schrecklichen Patriotisten ihre Ankunft nicht begleitet von Spottrufen ankündigen mussten. Was nicht gut wäre.
Schließlich gibt es in einer Tyrannei keinen Sinn fiir Humor. Dazu ist sie zu dünnhäutig, zu sehr von ihrer eigenen Wichtigtuerei eingenommen. Entsprechend stellt sie eine beinahe überwältigende Versuchung dar - wie könnte man da meine gelegentliche Spöttelei nicht entschuldigen? Leider fehlte den Patriotisten in diesen Dingen jegliche Flexibilität - die tödlichste Waffe, die man gegen sie einsetzen konnte, war höhnisches Gelächter, und das wussten sie.
Er überquerte den Quillas-Kanal auf einer der unbedeutenderen Brücken und begab sich in das weniger prunkvolle Nordviertel, schlenderte schließlich in eine gewundene, von Schatten erfüllte Gasse, die einst - vor der Erfindung vierrädriger Wagen und Gespanne - eine unbefestigte Straße gewesen war. Statt der üblichen Bruchbuden und Hintertüren, die man in so einer Gasse vielleicht erwartet hätte, wurde diese hier von Läden gesäumt, die sich in den letzten ungefähr siebenhundert Jahren nicht nennenswert verändert hatten. Da war als Erstes zur Rechten der Halb-Axt-Tempel der Kräuter, der wie ein Sumpfloch roch, und in dem man eine pflaumengesichtige Hexe finden konnte, die in einem Schlammloch lebte, während ihre kostbaren Pflanzen das Ufer überwucherten oder direkt in dem von Insekten gesprenkelten Teich wuchsen. Es hieß, sie sei in dem Schlamm geboren worden und nur halb menschlich, und dass auch ihre Mutter dort geboren worden sei, und deren Mutter und so weiter. Dass solche Art von Empfängnis unbefleckt erfolgt sein musste, war selbstverständlich, denn Tehol konnte sich kaum vorstellen, dass ein vernünftiger und nicht einmal ein unvernünftiger Mann diesen besonderen Schritt wagen würde.
Gegenüber der Halb-Axt befand sich der schmale Eingang zu einem Laden, der sich dem Verkauf von kurzen Seilstücken und hölzernen, eineinhalb Mannslängen hohen Stangen verschrieben hatte. Tehol hatte nicht die geringste Ahnung, wie ein so spezialisiertes Unternehmen überleben konnte, vor allem in diesem zerfaserten und beschnittenen Markt, doch die Tür des Ladens stand seit beinahe sechs Jahrhunderten offen, und sie wurde jede Nacht durch ein kurzes Seilstück und eine hölzerne Stange
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