Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
halbe Bevölkerung einsperren. Wenn wir nicht doch noch konkrete Hinweise finden, die sie belasten, wird ihr gar nichts passieren. Wenn sie an der Ermordung ihres Mannes beteiligt gewesen wäre, hätte sie sicher den Scotch verschwinden lassen.« Er wandte sich an Joan. »Ich habe gehört, dass du im Auftrag von John Brunos Familie in seinem Fall ermittelst. Cool. Ich weiß, dass du keinen Blödsinn machen wirst, und immerhin hast du schon was entdeckt, was uns entgangen ist. Wenn du also irgendwas brauchst, lass es mich wissen.«
»Komisch, dass du das erwähnst – ich hab nämlich schon eine ganze Liste bei mir«, erwiderte Joan.
Während sie mit Reynolds verhandelte, beobachtete King Mildred Martin, wie sie aus dem Verhörzimmer kam. Sie sah vollkommen verändert aus. War sie bei ihrem ersten Treffen gesellig, witzig und voller Lebensfreude gewesen, so hatte es nun den Anschein, als würde sie ihrem verstorbenen Mann bald ins Grab folgen.
Als Reynolds gegangen war, blickte Sean Joan fragend an. »Wohin jetzt?«
»Jetzt gehen wir in die Leichenhalle.«
»Dort hat das FBI doch schon alles gründlich unter die Lupe genommen.«
»O ja, genauso wie bei Mildred Martin. Und außerdem mag ich Beerdigungen und Leichenhallen. Da hört man immer den delikatesten Klatsch über die teuren Dahingegangenen – und zwar meistens aus den Mündern ihrer Freunde .«
»Joan, du bist wirklich eine Zynikerin.«
»Ich geb’s zu. Das ist eine meiner attraktivsten Eigenschaften.«
KAPITEL 42
Die Polizei brachte Mildred Martin nach Hause und fuhr wieder ab. Am Ende der Straße verschmolz ein schwarzer Mittelklassewagen, besetzt mit zwei hellwachen FBI-Agenten, mit der Dunkelheit.
Die alte Frau stolperte ins Haus und schloss die Tür hinter sich ab. Sie brauchte dringend einen Drink. Warum hatte sie das bloß getan? Alles war perfekt gewesen, und dann hatte sie es ruiniert. Aber sie hatte es wieder in Ordnung gebracht. Ja, bestimmt. Alles war okay. Sie griff nach der Ginflasche und füllte ihr Glas, wobei sie beinahe ganz auf Tonic verzichtete.
Sie trank das Glas in einem Zug halb leer, und ihre Nerven beruhigten sich allmählich wieder. Alles wird wieder ins Lot kommen, dachte sie. Ich bin eine alte Frau – was kann mir das FBI da schon anhaben? Die haben nichts gegen mich in der Hand, es wird schon alles gut gehen.
»Mildred, wie geht’s Ihnen?«
Sie ließ das Glas fallen und stieß einen schrillen Schrei aus.
»Wer ist da?« Sie drückte sich rückwärts gegen die Barvitrine.
Der Mann trat ein Stück vor, blieb aber weiterhin im Schatten.
»Ihr alter Freund.«
Sie blinzelte in seine Richtung. »Ich kenne Sie nicht.«
»Natürlich kennen Sie mich. Ich bin derjenige, der Ihnen half, Ihren Mann umzubringen.«
Sie hob das Kinn. »Ich habe Bill nicht umgebracht.«
»Nun, Mildred, dann war es eben das Methanol, das Sie ihm eingeflößt haben. Und Sie haben auf meine Bitte hin Bruno angerufen.«
Sie sah nun genauer hin. »Das… das waren Sie?«
Er trat noch ein Stück näher. »Ich habe Ihnen zu Ihrer Rache an John Bruno und obendrein noch zu neuem Wohlstand durch die Lebensversicherung verholfen. Außerdem habe ich eine Methode gefunden, mit der Sie Ihren armen kranken Mann von seinen Qualen befreien konnten. Als einzige Gegenleistung erwartete ich von Ihnen, dass Sie sich an die Regeln hielten. Mehr habe ich nicht verlangt. Aber Sie haben mich enttäuscht.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte sie mit bebender Stimme.
»Von den Regeln, Mildred. Von meinen Regeln. Und diese Regeln sahen nicht vor, dass Sie ein zweites Mal zur Polizei gebracht und noch einmal vom FBI verhört werden.«
»Daran sind diese Frau und der Mann schuld, die hier plötzlich auftauchten und Fragen gestellt haben.«
»Ja, King und Dillinger, ich weiß, ich weiß«, sagte der Mann freundlich. »Sprechen Sie weiter.«
»Ich… ich habe doch bloß mit ihnen geredet. Hab ihnen erzählt, was Sie mir gesagt hatten. Über Bruno, meine ich. Genau das, was Sie mir gesagt hatten.«
»Sie waren anscheinend zu offenherzig. Aber nun machen Sie schon, Mildred, erzählen Sie mir alles.«
Die alte Frau zitterte nun von Kopf bis Fuß.
»Beruhigen Sie sich«, sagte er beschwichtigend. »Und trinken Sie erst mal noch einen.«
Mildred goss Gin in ein neues Glas, stürzte ihn sofort hinunter und schenkte sich gleich noch einmal nach. »Ich… wir haben über Scotch geredet. Ich hab ihm erzählt, wie gerne Bill seinen Scotch trank, und das ist
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