Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
ausfindig zumachen. Der ehemalige Secret-Service-Agent war seit einem Jahr etwa wie vom Erdboden verschluckt. Man hatte seine Spuren bis nach Montana verfolgen können, wo er anscheinend von den Erträgen seiner Scholle gelebt hatte. Danach jedoch hatte niemand mehr etwas von ihm gehört oder gesehen. Er war schon seit Jahren geschieden, war kinderlos, und seine Exfrau, längst in zweiter Ehe verheiratet, hatte keine Ahnung, wo er sich aufhalten mochte. Joans Mitarbeiter hatten sogar ihre Quellen im Secret Service angezapft, doch auch der konnte nicht weiterhelfen. Die Schecks mit den Rentenzahlungen, die Scott immer an die Adresse in Montana geschickt worden waren, kamen seit einem Jahr regelmäßig mit dem Vermerk »unzustellbar« zurück.
Doug Denby war leichter aufzutreiben gewesen. Er hatte eine Erbschaft gemacht – ausgedehnte Ländereien und eine beträchtliche Summe Geldes –, war in seinen Heimatstaat Mississippi zurückgekehrt und genoss gegenwärtig sein Leben als Großgrundbesitzer weitab von den Niederungen der Politik. Er lief jedenfalls nicht durch die Gegend und brachte einen Menschen nach dem anderen um.
Joan stellte ihr Handy ab und wollte gerade in den Highway einbiegen, als es schon wieder klingelte. Diesmal war es Jefferson Parks.
»Eins kann ich Ihnen sagen«, meinte der Deputy Marshal. »Sie haben immer noch viele Bewunderer im Secret Service. Ich bekam immer nur zu hören, wie großartig Sie sind. Es war einfach zum Kotzen.«
Joan lachte. »Diese Wirkung übe ich auf viele Männer aus.«
»Glück gehabt?«
»Nicht viel. John Brunos Kanzlei und sein Wahlkampfbüro waren mehr oder weniger Sackgassen.«
»Was haben Sie als Nächstes vor?«
»Ich weiß es noch nicht genau. Die Suche nach Bob Scott war bisher auch erfolglos. Er ist seit einem Jahr spurlos verschwunden.«
»Okay, ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wir sind zwar bloß eine altmodische, kleine und unterfinanzierte Justizbehörde und verfügen nicht über diesen tollen Schnickschnack wie ihr in der freien Wirtschaft, aber soll ich nicht doch mal von meiner Seite aus versuchen, den Burschen zu finden?«
»Wir sind Ihnen für jede Unterstützung dankbar«, erwiderte Joan freundlich.
»Ich habe allerdings den Eindruck, dass King Scott nicht für verdächtig hält. Sicher, Scott könnte wegen des Mordes an Ritter was gegen King haben, aber selbst hatte er nicht das geringste Motiv, Ritter umzulegen und damit seine eigene Karriere zu ruinieren. Und dann ist da ja noch die Sache mit dieser Pistole.«
»Darüber hab ich mir auch schon den Kopf zerbrochen. Sean hat mir erzählt, die Waffe, die er in Loretta Baldwins Garten fand, sei ein kurzläufiger Revolver Kaliber .38 gewesen. Wird auch Bulldog-Revolver genannt.«
»Und?«
»Diese Waffe gehört beim Secret Service nicht zum Inventar. Das heißt, ein bewaffneter Scott mag kein Misstrauen erregt haben – ein doppelt bewaffneter wäre aber bei einer Durchsuchung sehr wohl aufgefallen, vor allem, wenn die zweite Waffe ein Bulldog gewesen wäre.«
Parks war noch nicht überzeugt. »Aber wieso soll er zwei Waffen bei sich gehabt haben? Er hätte Ritter doch auch mit seiner eigenen Pistole erschießen können.«
»Und wenn ein dritter Möchtegern-Attentäter – Ramseys Partner nämlich – kalte Füße gekriegt, gar nicht geschossen und Bob Scott, dem Insider, die Knarre untergeschoben hat, bloß um sie loszuwerden oder weil er dachte, Scott würde keinen Verdacht erregen? Kann sein, dass Scott es in diesem Fall mit der Angst zu tun bekam, weil er plötzlich zwei Waffen hatte. Also hat er die eine in dieser Besenkammer versteckt, und dabei hat Loretta Baldwin ihn beobachtet…«
»… und später ihre Erpressung darauf aufgebaut. Okay, das wäre ein Motiv für Scott gewesen, sie zu ermorden. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass ihm Ritters Tod seine Karriere ruiniert hat. Warum sollte er ihn umbringen?«
Joan seufzte. »Warum tut man überhaupt etwas? Wegen Geld! Außerdem spricht der Umstand, dass Scott verschwunden ist, nicht unbedingt für seine Unschuld.«
»Was wissen Sie denn sonst noch über ihn?«
»Vietnam-Veteran, bevor er zum Service ging. Möglicherweise hat er da einen Knacks bekommen und seither irgendeine Altlast mit sich rumgeschleppt. Außerdem galt er als Waffennarr. Kann sein, dass er umgekippt ist, auf die dunkle Seite sozusagen. Das ist nie gründlich untersucht worden. Der offizielle Untersuchungsbericht ging von der Einzeltäterthese aus. Wir sind die
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