Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
über John Bruno von den Mitarbeiterinnen aus seiner Anwaltskanzlei in Philadelphia. Keine von ihnen hatte viel Gutes über Catherine Bruno zu sagen.
»So hoch, wie die die Nase trägt, ist es ein Wunder, dass sie bei Regen nicht ertrinkt«, sagte eine Sekretärin über die blaublütige Mrs Bruno.
Joan nahm auch noch eine andere Frau in der Kanzlei in die Mangel. Sie hatte mit John Bruno bereits in seiner Anfangszeit als Staatsanwalt in Washington zusammengearbeitet, erinnerte sich noch gut an Bill und Mildred Martin und hatte vom Tod der beiden in der Zeitung gelesen.
»Bill war eigentlich kein typisches Mordopfer«, sagte die Frau sichtlich erschüttert. »Er war so nett und vertrauensselig.«
Joan hakte sofort nach. »Vertrauensselig, ja, das war er. Selbst dann, wenn er ’s vielleicht besser nicht gewesen wäre.«
»Also, ich verbreite ungern Klatschgeschichten wie ein Schulmädchen…«
»Wir sind beide erwachsen und können Geschichten erzählen, wo und wann wir wollen«, ermunterte Joan die Frau. »Vor allem dann, wenn es der Gerechtigkeit dient.«
Die Frau schwieg.
»Sie haben also bei der Generalstaatsanwaltschaft in Washington wirklich für beide gearbeitet, für Bill Martin und für John Bruno?«
»Ja. Ja, das hab ich.«
»Und welchen Eindruck hatten Sie von den beiden?«
»Bill war zu nett für seine Position. Das haben alle gesagt – natürlich nicht zu ihm. Und was John Bruno betrifft – also, wenn Sie mich fragen, so passte seine Persönlichkeit perfekt zu seinem Beruf.«
»Hart, rücksichtslos. Ohne Scheu, die Regeln ein bisschen zu verbiegen, wenn’s der Sache diente?«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein, das würde ich nicht sagen. Hart war er bestimmt, aber ich habe nie erlebt, dass er die Grenze überschritten hätte.«
»Und doch hab ich gelesen, dass es damals eine Menge Probleme bei der Generalstaatsanwaltschaft gab.«
»Das stimmt. Ich sagte ja schon, Bill war manchmal zu nachgiebig. Und es gab tatsächlich ein paar Staatsanwälte, die tatsächlich die Grenze überschritten. Aber das taten damals auch viele Polizisten, das kann ich Ihnen sagen. Erpresste Geständnisse und dergleichen waren an der Tagesordnung. Ich weiß noch, in der Zeit der großen Demonstrationen Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre kam es immer wieder vor, dass Polizisten Beweise fälschten und Leute wegen angeblicher Verbrechen verhafteten, die in Wirklichkeit gar nicht geschehen waren. Sie schüchterten die Bürger ein und erpressten sie. Es war schlimm, richtig schlimm. Eine wahre Schande.«
»Aber Bruno hat sich an alldem nicht beteiligt, sagen Sie?«
»Wenn er es getan haben sollte, dann hab ich nichts davon mitbekommen.«
»Kannten Sie auch die Frau von Bill Martin, Mildred?«
»Die war eine Marke für sich. Wollte immer über ihre Verhältnisse leben. Ein Fan von Bruno war sie bestimmt nicht.«
»Das hab ich auch schon gehört. Es würde Sie also nicht wundern, wenn sie Bruno verleumdet und Lügengeschichten über ihn erzählt hätte?«
»Überhaupt nicht. Das war typisch für sie. Sie wollte ihren Mann immer als hart durchgreifenden Gesetzeshüter sehen und hat wohl insgeheim gehofft, das würde ihn – und mit ihm sie selbst – groß rausbringen, will sagen, ans große Geld. Aber so war Bill eben nicht – John Bruno dagegen schon. Ich glaube, sie war neidisch.«
Joan lehnte sich zurück und nahm sich die Zeit, die neue Information zu verarbeiten. Dabei ließ sie die Frau nicht aus den Augen. Sie schien die Wahrheit zu sagen. Und wenn das stimmte, fiel ein ganz neues Licht auf den Fall.
»Wären Sie überrascht, wenn Sie hörten, dass Mildred Martin beim Tod ihres Mannes und vielleicht auch bei John Brunos Verschwinden die Hände im Spiel hatte?«
»Bei Bill schon. Ich glaube, sie hat ihn wirklich geliebt. Aber bei Bruno?« Sie zuckte die Achseln. »Mildred konnte grässlich rachsüchtig sein.«
»Könnten Sie das ein bisschen genauer erklären?«
»Wenn sie die Gelegenheit dazu gehabt hätte, dann hätte sie Bruno erschossen, ohne mit der Wimper zu zucken.«
Joan flog wieder nach Virginia und stieg in ihren Wagen. Sie war gerade im Begriff, das Flughafengelände zu verlassen, als ihr Telefon klingelte. Ihr Büro meldete die Ergebnisse ihrer Anfrage über den jeweiligen Aufenthaltsort von Bob Scott und Doug Denby. Der Bericht war alarmierend. Die großartige Detektei mit all ihren teuren Ressourcen und Kontakten auf höchster Ebene war nicht im Stande gewesen, Bob Scott
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