Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
gegen den Vietnamkrieg demonstriert hat – wogegen dann?«
Michelle überlegte, dann schnippte sie mit den Fingern. »Neunzehnhundertvierundsiebzig? Du hast doch Nixon erwähnt. Das müsste dann das Jahr mit dem Watergate-Skandal gewesen sein. Stimmt’s?«
King nickte nachdenklich. »Ja, Ramsey hätte selbstverständlich gegen einen Kerl wie Nixon demonstriert und seinen Rücktritt gefordert. Im August war es dann ja auch so weit.«
»Aber Kate sprach von einer Antikriegsdemonstration in Los Angeles.«
»Nein, sie sagte, ihre Mutter hätte davon gesprochen. Und sie sagte, ihre Mutter hätte in dieser Zeit ziemlich viel getrunken. Sie könnte sich also leicht im Jahr, im Anlass und sogar im Ort geirrt haben.«
»Das hieße also, der Zwischenfall mit dem getöteten Polizisten hätte sich in Washington und nicht in Los Angeles ereignet, und es wäre dabei um Nixon und nicht um Vietnam gegangen?«
»Wenn’s zutrifft, dann sollten wir die genaueren Umstände eruieren können.«
»Und die Anwaltskanzlei, die Ramsey unterstützt hat. Ob die auch in Washington angesiedelt ist?«
»Das lässt sich bestimmt auch rausfinden.« King zog sein Handy aus der Tasche und drückte mehrere Tasten. »Ich werd mal Joan fragen. Im Ausgraben von solchen Sachen ist sie großartig.«
Doch Joan meldete sich nicht, und er hinterließ ihr eine Nachricht. Dann sagte er: »Wenn jemand ihn da rausgeholt hat und bei der Geschichte auch noch eine Anwaltskanzlei mitgemischt hat, dann hätten wir immerhin was Greifbares, was sich belegen lassen müsste.«
»Nicht unbedingt. Du wirst kaum beweisen können, wer sich damals wann und wo aufgehalten hat. Verflixt, Ramsey hätte das Rathaus von L. A. mit Steinen beschmeißen können, und es würde uns nie gelingen, das zu beweisen. Zeugen lassen sich da bestimmt keine finden. Und wenn’s keine anderen Aufzeichnungen darüber gibt, dann Gute Nacht.«
King nickte. »Absolut logisch. Trotzdem müssen wir ’s nachprüfen. Das kostet uns nichts als Zeit.«
»Ja«, sagte Michelle. »Aber ich hab so ein dummes Gefühl, dass die uns buchstäblich davonläuft.«
KAPITEL 55
King und Michelle übernachteten in einem Motel unweit von Atticus und fuhren erst am nächsten Morgen nach Wrightsburg zurück. Vor Kings Haus wartete Parks bereits auf sie.
»Haben Sie was von Joan gehört?«, fragte King ihn, während sie ins Haus gingen. »Ich hab gestern Abend versucht, sie zu erreichen, aber sie ging nicht ans Telefon.«
»Ich hab gestern Abend noch mit ihr gesprochen. Sie hat in den Unterlagen, die ich mitgebracht hatte, was über Bob Scott gefunden.« Er berichtete von dem Haftbefehl aus Tennessee.
»Wenn es sich dabei um unseren Bob Scott handelt, dann hilft uns das vielleicht weiter und beantwortet uns ein paar Fragen«, sagte King.
»Ruf Joan doch noch mal an, dann arbeiten wir eine Strategie aus«, sagte Michelle.
King wählte Joans Nummer, doch es meldete sich immer noch niemand. Dann wählte er die Nummer des Hotels, in dem Joan wohnte. Während King dem Bericht der Dame an der Rezeption lauschte, wurde er blasser und blasser, und seine Knie begannen zu zittern. Schließlich schmiss er den Hörer auf die Gabel und brüllte: »Verfluchter Mist!«
Parks und Michelle starrten ihn verwundert an.
Dann fragte Michelle ruhig: »Was ist los, Sean?«
King schüttelte fassungslos den Kopf. »Joan«, sagte er. »Sie ist entführt worden.«
Joan war in einem Gästebungalow hinter dem Cedars Inn untergebracht gewesen. Ihr Portemonnaie und ihr Handy lagen auf dem Fußboden. Das Tablett mit Kaffee und Imbiss war unangetastet. Die Schuhe, die sie tags zuvor getragen hatte, lagen auf dem Boden, an einem davon war der Absatz abgebrochen.
Der Bungalow besaß eine Hintertür, die auf ein Gelände hinausführte, in dem sich unschwer ein Wagen abstellen ließ. Von hier hätte Joan abtransportiert werden können, ohne dass es irgendjemand mitbekommen hätte. Als King mit Michelle und Parks eintrafen, war Polizeichef Williams mit einigen seiner Männer bereits da, nahm Aussagen auf und sicherte die spärlichen Beweise, die es gab.
Der junge Mann vom Zimmerservice, der Joan etwas zu essen hatte bringen wollen, war bereits gründlich vernommen worden. Er war seit zwei Jahren im Hotel angestellt und sichtlich erschüttert von den Ereignissen. Nach seiner Aussage war er auf dem Weg zu Joans Bungalow von einer jungen Frau angesprochen worden. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass das Tablett für Joan bestimmt
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